Albanische Polizisten in serbischen Diensten

Die Truppe in der Stadt Djakovica im Kosovo ist bei den Albanern mehr gefürchtet als die serbische  ■   Aus Djakovica Thomas Schmid

Als die Polizei nach Ponosevac kam, ist Bardha Adenaj geflohen. Ihren Mann haben sie von der Straße weg verhaftet, und so ist die junge Frau nun allein. Sie ist in Osek, einem kleinen Dörfchen im Westen des Kosovo, untergekommen, und dort wurde sie Zeugin eines Mordes: Muharem Ibraj schoß Süleiman Bajramaj mitten ins Gesicht und schrie, er werde sie alle umbringen, alle, auch Frauen und Kinder. Etwa 30 Schüsse seien danach gefallen, aber niemand sei verletzt worden, pure Einschüchterung sei es gewesen, berichtet die Frau. Drei Männer aber seien festgenommen, auf der Polizeiwache verprügelt und auf Vermittlung der OSZE schließlich freigelassen worden. Das war am Sonntag, dem 28. Februar. Diesen Ablauf des Ereignisses bestätigt auch ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation von Djakovica, der nahen Kreisstadt.

Doch Muharem Ibraj ist weiterhin auf freiem Fuß. Der Mann ist schließlich Polizeichef, allerdings kein Serbe, sondern Albaner, und sein Opfer war ein Verwandter. Überall im Kosovo wurden nach der Abschaffung der Autonomie der Provinz vor zehn Jahren die Albaner aus dem Polizeidienst entlassen. Die Polizei ist eine rein serbische Truppe – außer in der Gegend um Djakovica. Dort gibt es neben der gut bewaffneten serbischen Polizei seit fast einem halben Jahr eine schlecht bewaffnete albanische – in serbischen Diensten.

Nach der Sommeroffensive im vergangenen Jahr stellte nämlich Slobodan Miloevic, der Potentat von Belgrad, fest, daß das Kosovo nicht nur Wiege der serbischen Kultur, sondern auch eine multiethnische Provinz sei. So kamen die lokalen Behörden in Pritina auf die Idee, eine lokale albanische Polizei aufzubauen. Bisher ist es ihnen nur im Kreis Djakovica gelungen, dafür Leute zu gewinnen.

Dort, in Osek, lebt nämlich der alte Mus Ibraj, ein Albaner, der als Förster vor einigen Jahrzehnten einmal zwei Männer, die illegal Holz schlugen, erschossen hatte und deswegen auch kurz im Gefängnis war. Weshalb er schon bald freikam, darüber gibt es nur Gerüchte. Jedenfalls ist er heute Polizist, lebt mit seinen zwei Frauen in einem Haus und hat von diesen mindestens vier Söhne, die auch Polizisten sind. Ein weiteres halbes Dutzend Verwandte ist der neuen Polizeitruppe ebenfalls beigetreten. Nur einer seiner Söhne, Vlasnim, weigerte sich mitzumachen. Nachdem er von den eigenen Brüdern deswegen übel zugerichtet wurde, ergriff er die Flucht. Niemand in Djakovica scheint zu wissen, wo er abgeblieben ist. Süleiman Bajramaj hingegen, ein entfernter Cousin, wollte sich weder rekrutieren noch vertreiben lassen. Also mußte er sterben.

Der Clan der Ibraj ist der harte Kern der albanischen Polizeitruppe, die etwa 50 Mitglieder umfaßt. Chef ist, wie gesagt, Muharem Ibraj, einer der Söhne des pensionierten Försters und nun aktiven Polizisten. Sein Haus stehe in Osek, an der Hauptstraße, die von Djakovica nach Pec führt, auf der linken Seite. Eine Frau steigt ins Auto ein, um uns das Haus zu zeigen. Doch müssen wir ihr versprechen, nicht anzuhalten, sondern sie einige Kilometer weiter weg aussteigen zu lassen und allein zurückzufahren. Alle hier haben Angst vor Muharem Ibraj, der ja fähig war, seinen eigenen Verwandten zu erschießen.

Gegenüber dem Haus, auf der anderen Straßenseite, steht ein weißer Jeep, darin sitzen zwei Männer, der eine in militärischer Kampfuniform, der andere in einer blauen Polizeiuniform, wie man sie ansonsten im Kosovo nicht sieht. „Mirdita.“ – „Mirdita.“ Guten Tag. Es sind also Albaner. Die Übersetzerin aus Pritina wird freundlich behandelt, doch sprechen wollen die beiden nicht. Sie seien nicht befugt, nur Muharem Ibraj könne Auskunft geben. Der stecke im Büro der Polizei, und dies befinde sich hinter dem Café Laici in Djakovica.

Das Büro der Polizei entpuppt sich als Büro der Volkspartei des Kosovo. Beides ist dasselbe. Die Polizeitruppe ist die Parteigruppe und umgekehrt. Der lokale Parteichef ist Chef der lokalen Polizei. Sechs blau uniformierte Polizisten qualmen den Raum voll. Nein, Auskunft dürften sie keine geben, nur der Chef, und der sei nicht hier, sagt eine junge, etwas aufgetakelte blonde Frau in gebrochenem Englisch. Sie ist die Sekretärin der Partei und natürlich auch der Polizei. Liza heißt sie, alle in der Stadt scheinen sie zu kennen, weil sie im Café bedient hat. Interessant aber ist ihre Karriere. Aus irgendwelchen Gründen versuchte sie offenbar, sich ins Gebiet der UÇK, der albanischen Guerilla, abzusetzen, wurde aber von dieser zurückgewiesen und ist nun eben bei der Polizei.

Diese Polizei von Kollaborateuren fürchten die Albaner mehr als die serbische, sagt der eingangs erwähnte Mitarbeiter der Menschenrechtsgruppe in Djakovica. In acht umliegenden Dörfern sei sie aktiv und verbreite nur Terror. Es seien ungebildete, arme Schweine, die diese Drecksarbeit machen. Den Fall des Mordes in Osek hat die Organisation in einem Dossier dokumentiert.

„Eine Tochter Süleimans hat versucht, in letzter Sekunde ihren Vater wegzuzerren, er ist in ihren Armen gestorben“, sagt der Menschenrechtler und auch die Zeugin Bardha Adenaj.

Das offiziöse serbische Medienzentrum in Pritina gab bekannt, Süleiman habe eine Polizeitruppe angegriffen und sei bei der Auseinandersetzung erschossen worden.