Trittins Wundertüte wundert viele

■ Die Bündnisgrünen in Bonn sind ratlos: Was hat ihren Umweltminister nur geritten, sich schwarz-grünen Gedankenspielereien hinzugeben? Nun bleibt nur das Prinzip Hoffnung

Bonn (taz) – Jürgen Trittin ist derzeit ein gefragter Mann. Wann immer der Umweltminister auch nur den Plenarsaal verläßt, rennen die Reporter hinter ihm her. So als wäre von dem früheren Parteisprecher der Bündnisgrünen ein neuerlicher Leckerbissen zu erwarten, der sich medial aufs allertrefflichste plazieren läßt.

Trittin, der die Aufmerksamkeit mit einer Mischung aus Freude und Verärgerung trägt, hat mit seinen Gedanken zu schwarz-grünen Koalitionen in der Bundestagsfraktion für Kopfschütteln gesorgt. Fraktionschefin Kerstin Müller, wie Trittin vom linken Flügel, nennt seine Äußerungen „unglücklich“. Anders als Trittin hält sie das rot-grüne Reformprojekt „nicht für tot“. Es gelte jetzt, Rot-Grün zum Erfolg zu bringen. „Auch jeder Minister kann einen Beitrag dazu leisten, damit wir erfolgreich regieren.“

Kaum waren Trittins Bemerkungen in der Welt, versuchte er sie zu relativieren. Noch am Mittwoch abend hatte er eine Erklärung verbreiten lassen, mit der er seine Zitate im Stern abschwächte. Zwar würden CDU und SPD strukturell immer ähnlicher werden, doch sagten solche Ähnlichkeiten nichts über die aktuelle Politik und ebensowenig über aktuelle Koalitionen aus. Trittin hatte offensichtlich gespürt, daß seine Äußerungen selbst bei ihm wohlgesonnenen Parteifreunden auf Widerstand stoßen. So hatte etwa Christian Ströbele, einer der wenigen Exponenten der klassischen Linken in der Bundestagsfraktion, Trittins Überlegungen zu schwarz-grünen Optionen mit deutlichen Worten abgelehnt.

Trittin hatte überzogen – Hohn und Spott gossen gestern liberale und konservative Zeitungen in ihren Kommentaren über ihn aus. Dabei hatte der Minister bereits am Freitag vergangener Woche das Ende des rot-grünen Reformprojekts in der Fraktion verkündet. Doch seine Feststellung habe in der Luft gehangen wie andere Redebeiträge auch, die sich mit der Lage nach dem Abgang Lafontaines befaßten, erinnert sich ein Teilnehmer. Von Schwarz-Grün habe Trittin auf dieser Sitzung nicht gesprochen. Die am Mittwoch dann veröffentlichten Bemerkungen im Stern lösen vor allem deshalb auch Unverständnis aus, weil sie erneut einen Wellenschlag erzeugen, nachdem Grüne und SPD gerade eine Woche des Sturms überstanden hatten.

Trittins Worte kommen den Grünen auch bundesweit höchst ungelegen. In Berlin etwa wird im Herbst ein neues Landesparlament gewählt. Rot-Grün generell für tot zu erklären, zugleich damit aber in Berlin zu werben, sagt die Fraktionschefin im Bundestag, Kerstin Müller, das sei „wirklich nur schwer zu vermitteln“.

Am Tag nach Trittins Bemerkungen, von denen manche hoffen, daß sie eine „Eintagsfliege“ bleiben, herrscht das Prinzip Hoffnung. Kerstin Müller spricht vom „ruhigeren Fahrwasser, in das wir kommen müssen“. Mit derartigen und ähnlichen Bildern versuchen auch andere Grüne sich zur Zeit in Bonn Mut zu machen. „Die Fraktion und die Partei muß endlich wieder Boden unter den Füßen kriegen“, sagt die Berliner Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstätt-Bohlig. Doch wie soll das bewerkstelligt werden?

Oswald Metzger von den Realos und Haushaltsexperte seiner Fraktion setzt auf die „inhaltliche Neubestimmung“. Zentrale Themen wie die Reform des Sozial- und Rentenversicherungssystems sowie eine neue Fiskalpolitik müßten angegangen werden.

Unter den Äußerungen der grünen Abgeordneten schimmern die alten Konfliktlinien durch: Wieviel grüner Traditionalismus soll noch sein, wieviel Modernismus will man sich zumuten? Eichstätt-Bohlig spricht vom „Brückenschlag“. Fiskal- und Steuerthemen müßten ebenso behandelt werden wie „grüne Urthemen“. Die Partei müsse sich fragen, wie sie Umweltpolitik, Menschenrechte, Bürgerrechte mit aktuellen Themen verbinde. Die Gefahr sei doch, daß ökologische Themen „durch den gegenwärtigen Mainstream aus der Hand geschlagen werden“. Severin Weiland