Meldepflicht und Ausgangssperre

■ Mehrere Jahre lang arbeitete Stefan Knehler in einer Firma. Dann erfuhr der Chef, daß er homosexuell ist. Die Folgen: schwulenfeindliche Schikanen und ein Auflösungsvertrag

Die Meldepflicht wurde nur über einen einzigen Angestellten verhängt. Sein Büro durfte Stefan Knehler* nicht mehr verlassen, ohne der Sekretärin Bescheid zu geben. Für hausinterne Konferenzen oder Besprechungen mußte er quasi einen Antrag stellen: Wann das Treffen stattfinden werde und wo, begehrte sein Chef zu wissen, und warum es überhaupt nötig sei. Termine mit anderen Firmen oder KundInnen waren untersagt. Außerdem verlangte der Abteilungsleiter Kopien von allen Briefen, die Knehler schrieb, und ausführliche Berichte über seine Arbeit.

Nach den Gründen für diese Einschränkungen fragte der Sanktionierte nur einmal. Daß das eine „typische blöde Frage“ sei, bekam er da zu hören; er „wisse doch genau, worum es geht“. Das war in der Tat offensichtlich: Kurz zuvor hatte der Angestellte seinem Chef erzählt, daß er homosexuell ist. Daß der Vorgesetzte überrascht war, überraschte wiederum Knehler. Seit Jahren schon arbeitete er in dem Großkonzern, hatte „eine für den Betrieb wichtige Stelle“, die regen Austausch mit Kollegen nötig machte. „Ich habe nie versucht, mein Schwulsein zu verstecken“, sagt er. „Deshalb ging ich davon aus, daß auch mein Chef es wußte.“

Daß dem offenbar nicht so war, bekam Knehler in den folgenden Wochen zu spüren. Homosexualität, wurde ihm erklärt, sei „eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung“. In seiner täglichen Arbeit spürte er plötzlich kleine Einschränkungen. „Mir sind verschiedene Dinge aufgefallen, aber ich dachte, vielleicht bilde ich mir etwas ein.“ Kurze Zeit später verhängte sein Chef die Meldepflicht.

Zwei Wochen lang ließ Knehler die Sanktionen über sich ergehen. „Peinlich genau“ befolgte er jedes Detail der Anweisungen, ließ sich nicht krankschreiben, trotz all der Symptome, „die bei Mobbing-Opfern eben auftreten“. Nachts konnte er nicht mehr schlafen, tagsüber nicht essen. Auch das Zittern und die Konzentrationsschwäche, bescheinigte ihm ein Arzt, seien auf Streß im Büro zurückzuführen.

Dann kam ein neues Schreiben vom Chef. „Meine Arbeit wurde darin völlig auseinandergenommen“, berichtet Knehler. „Der Text war zudem voller Widersprüche: Mal hatte ich zuviel gemacht, mal zuwenig. Mal hatte ich zu ausführlich Bericht erstattet, mal zu knapp.“ Innerhalb von zwei Tagen, so stand es in dem Brief, habe er „einen ausführlichen Bericht“ vorzulegen, „um mich als Besetzung meiner Stelle zu rechtfertigen“. Eine Zeitvorgabe, die Knehler unmöglich einhalten konnte.

Mußte er auch nicht. Schon vor Ablauf der Frist lud ihn der Chef erneut vor – und bot einen großzügigen Auflösungsvertrag an, „der die Firma weit mehr kostete als üblich“. Knehler unterschrieb. Für KollegInnen, die nach Gründen für den plötzlichen Abgang fragten, wurde ein Aushang angefertigt: „Aus persönlichen Gründen“ wolle Knehler die Firma verlassen.

Der tägliche Streß war damit vorbei. Geblieben sind die gesundheitlichen Probleme, die schlechte Erinnerung, die Angst, es könnte im nächsten Betrieb ähnlich laufen. Und die Frage, ob es besser gewesen wäre, sich zu wehren. Das fällt schwer. Denn Homosexuelle, weiß Knehler, „haben oft gelernt, erstmal freundlich zu sein und Streit zu vermeiden“. Und Schwulenfeindlichkeit nur mit Wut zu begegnen nützt auch nichts. „In so einer Situation den Mund aufzumachen erfordert eine Menge Kompetenz. Und Mut.“ Judith Weber

*Name von der Redaktion geändert