„Wer Karriere machen will, muß an die Spree“

■ Neben den Regierungsbehörden drängen die Interessenverbände, das Diplomatische Corps, die Landesvertretungen und Medien in die Hauptstadt. Tausende von NeuberlinerInnen sind zu erwarten

Kurz vor der Übergabe des umgebauten Reichstages an die Bundestagsabgeordneten am 19.April dominieren noch Bagger das Bild auf den Hauptstadtbaustellen, doch die Bonner beginnen die Koffer zu packen. Ein Mitarbeiter der Berliner Senatskanzlei: „In Bonn konnte man sich ausruhen. Wer Karriere machen will, muß an die Spree kommen.“

Rund 5.300 Stellen wird es laut Projektgruppe „Steuerung Umzug Berlin“ für den Bereich Bundestag in Berlin geben. Dazu gehören 669 Bundestagsabgeordnete, 1.500 Abgeordnetenmitarbeiter, rund 850 Fraktionsmitarbeiter und 2.280 Verwaltungsangehörige, wobei die Hälfte der Verwaltungsangehörigen erst 2000 umzieht. Die große Mehrheit wird in der Sommerpause übersiedeln. Seine reguläre Arbeit nimmt der Bundestag in der ersten Sitzungswoche im September auf. Das Umzugsgut: Die Möbelfirmen werden 50.000 Kubikmeter Möbel und Akten befördern. Allein die Bücher machen 38.000 laufende Meter aus.

Der Bundespräsident residiert bereits seit 1994 im Schloß Bellevue. Das Bundespräsidialamt im Tiergarten wurde im November offiziell übergeben. Der Bundeskanzler wird ab Herbst vorübergehend im ehemaligen Staatsratsgebäude neben dem Palast der Republik arbeiten. Ab Oktober 2000 zieht der Regierungschef ins Bundeskanzleramt in der Willy- Brandt-Straße am Tiergarten. 7.676 Stellen werden nach einer Aufstellung des Bundespresseamtes den Bundesministerien in Berlin zur Verfügung stehen. Der Bundesrat geht erst im Mai 2000 nach Berlin und tagt dann im ehemaligen Preußischen Herrenhaus an der Leipziger Straße.

Die einzige Landesvertretung, die bereits Flagge in der Hauptstadt zeigt, ist die Bayerische in der Behrenstraße. Hamburg und Sachsen ziehen im Herbst in zwei Altbauten in Mitte, alle anderen Vertretungen sind noch im Bau. Als erste Spitzenlobby der Wirtschaft ist der Gesamtverband der Versicherer in der Friedrichstraße eingetroffen, schon Ende März wird der Bundesverband Deutscher Banken in der Burgstraße Quartier machen. Die drei größten Spitzenverbände, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Industrie und Handelstag (DIHT) werden ab November erstmals unter einem Dach residieren. Das „Dreimädelhaus“ wie Die Welt diese Wohngemeinschaft nannte, liegt am Spreeufer mit Blick auf das Nikolaiviertel.

Von den 183 Staaten, die in der Bundesrepublik akkreditiert sind, haben 32 ihren Dienstsitz nicht in Deutschland, sondern eine Zentrale in Brüssel, Paris oder London. Von den verbleibenden 151 haben bislang 72 Staaten ein Domizil in Berlin gefunden. Die reichen westlichen Länder, die USA, Frankreich und Großbritannien werden demnächst in der „guten Stube“ am Pariser Platz residieren. Botschaften wie Japan, Italien und Österreich vertreten ihre Länder im Diplomatenviertel an der Tiergartenstraße, die größeren Länder des ehemaligen Ostblocks beziehen ihre Botschaften in Mitte.

Der Andrang der Medien ist groß: Momentan sind 680 Journalisten bei der Bundespressekonferenz (BPK) in Bonn akkreditiert, dazu kommen 120 Berliner Kollegen, die regelmäßig über Bundespolitik berichten. „Wir können uns vor Aufnahmeersuchen kaum retten“, sagt der Umzugsbeauftrage der BPK, Thomas Wittke. Die Institution wird zum Schiffbauerdamm ziehen. Dazu wird eine große Gruppe von Journalisten kommen, die nach Berlin ziehen, um über das Wirtschafts- und Kulturleben zu berichten. Die Redaktionen stocken ihr Personal auf. Berlin als Metropole zieht an. Annette Rollmann