Aus Friedenstruppen könnten Kampfverbände werden

■ „Wir sind vorbereitet“, heißt es in der Nato-Einsatzzentrale in Makedonien. 10.000 Mann sind jetzt stationiert, die Deutschen haben ihr Kontingent nahe der Grenze zum Kosovo aufgestockt

Das makedonische Zollhaus an der Grenze zum Kosovo ist durch den Nebel und den Schnee zu einem unwirtlichen Ort geworden. Nur schemenhaft ist die Umgebung zu erkennen. Hier auf der Paßanhöhe kommen seit drei Tagen keine Autos mehr durch, „auch nicht die Fahrzeuge der OSZE“, erklärt ein Zöllner, der fröstelnd auf die andere Seite der Grenze blickt. Dort ist niemand zu sehen.

Doch schon seit Tagen ist bekannt, daß die Serben einen Cordon sanitaire geschaffen und die dort wohnende Bevölkerung vertrieben haben. Ihre Armee hat an den Berghängen auf beiden Seiten der Paßstraße Position bezogen. 14.000 bis 18.000 Mann wurden in den letzten Tagen aus Serbien hierher und an andere Stellen der Grenze verlegt, mit Artillerie, Panzern und mit Kurzstreckenraketen.

Jetzt ist nur noch eine Straße von Kosovo nach Makedonien, in die Hauptstadt Skopje, offen. Sie kann aber auch jederzeit geschlossen werden. Wie es scheint, hat Slobodan Milošević mit dem Aufmarsch der jugoslawischen Armee an der Grenze zu Makedonien einen militärischen und politischen Trumpf ausgespielt. Denn er stellt das Nato- Kommando in Makedonien vor große Probleme. Sollte nämlich jetzt, nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen, wie angedroht ein Bombenangriff der Nato- Flugzeuge erfolgen, müßte die Nato die Evakuierung der 1.400 Mitglieder der OSZE-Mission im Kosovo sichern. Sollten die OSZE- Leute als Geiseln genommen werden, dann ist die schon im Herbst 1998 für diesen Zweck geschaffene und in Makedonien stationierte Truppe der „Extraction Force“ gezwungen, in das Kosovo einzudringen.

Ist die Nato aber darauf vorbereitet? Die Extraction Force wurde nach dem Milošević-Holbrooke- Treffen vom 15. Oktober letzten Jahres nach Makedonien gebracht. 2.500 Mann aus Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Deutschland sollten diese Aufgaben übernehmen. Sie wurden in ihren Heimatländern darauf vorbereitet. Und auch dafür ausgerüstet. Selbst schwere Waffen und Panzer stehen ihnen zur Verfügung.

Im Zentrum der kaum 15 Kilometer Luftlinie entfernten Stadt Tetova hat die Bundeswehr eine Kaserne übernommen, die früher einmal, vor dem Krieg 1991, der jugoslawischen Volksarmee gehörte und jetzt zum Teil noch von einer kleinen Einheit makedonischer Soldaten genutzt wird. 500 deutsche Soldaten gehören zur Extraction Force.

Doch heute sind schon weit mehr Soldaten anzutreffen. Denn die Planungen der Militärs mußten im Februar dieses Jahres erweitert werden. Nach dem Friedensplan von Rambouillet sollten 30.000 Mann Nato-Truppen in das Kosovo einrücken. 10.000 Mann sind jetzt schon in Makedonien stationiert. Auch die Deutschen haben ihr Kontingent aufgestockt: Zusammengenommen etwa 1.500 Mann sind jetzt in Tetova. Eine Zeltstadt ist aufgebaut, um weitere 3.000 Mann der Bundeswehr unterzubringen. Täglich werden jetzt bis zu 300 Mann eingeflogen, das erste Kontingent wird zudem ausgetauscht.

Das Gerät ist zum größten Teil schon da. Es wurde über die griechische Hafenstadt Thessaloniki herangeschafft. Auf einem 15 Kilometer von der Grenze entfernten Militärgelände steht die ganze deutsche „Tierfamilie“ einträchtig nebeneinander: vier moderne Kampfpanzer Leopard 2 – später sollen es 30 sein –, die Schützenpanzer Marder, Büffel-Bergepanzer, Truppentransporter mit dem Namen Elefant, Baufahrzeuge mit Kränen und jede Menge Munition.

Das Gros der Friedenstruppen ist also noch gar nicht da, und schon muß über den Auftrag diskutiert werden. Was geschieht also, wenn die Nato gezwungen ist, ins Kosovo hineinzugehen, um die OSZE- Mitglieder zu schützen? Die 2.500 Mann der Extraction Force reichen dafür angesichts des serbischen Truppenaufmarsches nicht mehr aus. Die Planer befürchten zudem, daß die serbische Armee sich bei Bombenangriffen der Nato an der kosovo-albanischen Bevölkerung rächen könnte. „Eine Nacht der langen Messer ist denkbar“, erklärte ein Diplomat in Skopje.

Selbst eine dritte Möglichkeit ist nicht mehr ausgeschlossen. Die jugoslawische Armee könnte mit Artillerie und Kurzstreckenraketen von der Grenze aus auf die Bodentruppen in Makedonien schießen. Und das wären vornehmlich die deutschen Truppen in Tetova. Denn die liegen in Reichweite der serbischen Artillerie.

„Wir haben alle Möglichkeiten zurückzuschlagen“, erklärte der Oberkommandierende der Nato in Europa, General Wesley K. Clark, in Skopje. Doch auch Clark ist nervös geworden. Mit der Stationierung der serbischen Truppen an der Grenze könnten die Nato-Bodentruppen tatsächlich gezwungen werden, sich von Friedenstruppen zu Kampftruppen zu wandeln. Zwar verschweigen dies die Militärs wie auch Clark selbst. Doch die Vorbereitungen für diesen Fall sind schon angelaufen.

In den letzten Tagen ist die Vorhut der schnellen Eingreiftruppe ARRC („Allied Rapid Reaction Corps“) in Makedonien aufgetaucht. Es handelt sich dabei um einen Stab von mehreren hundert Offizieren, vornehmlich britischen, die in wenigen Tagen in der Lage sind, das gesamte Kommando über die anwesenden Nato-Truppen in Makedonien an sich zu ziehen. Sollten die Politiker einen neuen Auftrag erteilen, könnte die ARRC nach ihrem Aufbau, der wohl nächste Woche abgeschlossen ist, „von einer Sekunde zur anderen“ die Nato-Truppen zu Kampftruppen umorganisieren.

„Wir sind auf alles vorbereitet“, sagt Major Jan Joosten, der Pressesprecher in der Nato-Zentrale in Skopje. Mit den unbemannten deutschen und französischen Aufklärungsflugzeugen des Typs Drohne habe das Nato-Oberkommando Informationen über alles, was im Kosovo geschieht, sagt er. Die in 300 Metern Höhe gleitenden Drohnen fotografieren mit Spezialkameras das gesamte Gelände. So wissen die Nato-Militärs über jede serbische Artilleriestellung Bescheid, mit Luftangriffen können diese Stellungen, Panzer und Kommunikationssysteme punktgenau ausgeschaltet werden. „Wir haben unsere Mittel“, sagt auch Major Götz, Sprecher des deutschen Kontingents, und lächelt. Angesichts der Drohung von jenseits der Grenze blickt aber mancher deutsche Soldat nicht mehr so fröhlich drein wie ihr Sprecher. Erich Rathfelder, Tetova