"Eine große Wut im Bauch"

■ PKK-Oberkommandierender Cemil Bayik über Zustand und Pläne seiner Organisation nach der Verhaftung ihres Vorsitzenden Öcalan: "Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Krieg auszuweiten"

taz: Die Türkei behauptet, durch die Verhaftung Öcalans sei die PKK kopflos geworden. Stimmt diese Einschätzung?

Cemil Bayik: Das trifft überhaupt nicht zu. Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan hat für unsere Partei und für unseren Befreiungskampf eine sehr große Bedeutung. Natürlich ist seine Verhaftung ein großer Verlust, aber der Befreiungskampf eines ganzen Volkes hängt doch nicht nur an der Person Abdullah Öcalan. Er spielt eine große Rolle in unserem Kampf, und er wird sie auch in Zukunft innehaben. Wenn er auch physisch nicht bei uns ist – seine Organisation, seine Kampfgefährten, seine Ideologie und seine politische Linie bestehen weiter.

Nach der Verhaftung Öcalans soll es innerhalb der PKK Machtkämpfe zwischen „Tauben“ und „Falken“ gegeben haben.

Das ist türkische Propaganda. Es gibt innerhalb der PKK weder „Tauben“ noch „Falken“. Die PKK ist eine Lebensideologie. Aber gesetzt den Fall, man würde innerhalb der PKK überhaupt eine solche Unterscheidung vornehmen, müßte man unseren Vorsitzenden Abdullah Öcalan sicherlich als „die größte der Tauben“ bezeichnen. Daß es nämlich bisher nicht zu Auseinandersetzungen innerhalb der PKK gekommen ist, haben wir auch unserem Vorsitzenden Öcalan zu verdanken, der ein stabiles Gleichgewicht in der Partei geschaffen hat.

Es wird behauptet, der israelische Geheimdienst Mossad und die USA seien in Kenia an der Operation gegen Öcalan beteiligt gewesen. Sind Israel und die USA zukünftige Angriffsziele?

Die USA und Israel haben die Ehre des kurdischen Volkes verletzt. Sie haben sich feindlich unserem Volk gegenüber verhalten. Wir wollten ihre Freundschaft. Aber leider haben sie mit Gewalt reagiert. Sie sollten sich bei unserem Volk und unserer Partei entschuldigen. Wenn Israel und die USA an ihrer bisherigen Haltung festhalten, dann wird auch unsere Antwort anders ausfallen als bisher.

Die Türkei behauptet, die PKK sei besiegt.

So einfach ist die Lage nicht. Die türkische Armee hat einige Erfolge erzielen können, aber gleichzeitig haben sie auch Mißerfolge zu verbuchen. Für uns stellt sich das ähnlich dar. Es gibt keine Seite, die gewonnen oder verloren hat. Mit der Verhaftung unseres Vorsitzenden haben sie psychologisch die Oberhand bekommen. Auf den ersten Blick haben die Ereignisse um die Verhaftung unseres Vorsitzenden Nachteile für uns gebracht, aber langfristig ziehen wir große Vorteile daraus. Denn es hat sich daraus ein nationaler kurdischer Aufstand über die Grenzen der Türkei hinaus entwickelt. Unsere Partei und Guerilla werden aus dieser Situation gestärkt hervorgehen.

Wie wird der Guerillakampf weitergehen?

Die Guerillas haben eine große Wut im Bauch. Hunderte von Kämpfern und ihre Führung wollen in die Offensive gehen. Nur mit großen Schwierigkeiten konnten wir sie bisher daran hindern, loszuschlagen. Wir müssen die Reaktionen und die Wut der Guerillas in die richtigen Bahnen lenken. Das ist momentan unsere größte Schwierigkeit. In der Vergangenheit hat sich unser Vorsitzender stets dafür eingesetzt und diese Aufgabe übernommen. Da er uns nun fehlt, haben wir einige Schwierigkeiten. Das muß ich offen zugeben. Wir wollten diesen Krieg beenden. Unser Vorsitzender hat in Italien ein Sieben-Punkte-Programm zur Lösung des Konflikts vorgeschlagen. Die Antwort war das Komplott gegen ihn. Uns bleibt jetzt nicht anderes übrig, als den Krieg fortzusetzen und ihn auszuweiten. Wir sind gezwungen zu kämpfen.

Werden Sie die Gewalt auch in die europäischen Städte tragen?

Das ist eine absurde Behauptung. Wir haben Europa keinen Krieg erklärt und werden das auch in Zukunft nicht tun. Wir wollen Freundschaft mit den Europäern. Wir haben unser Volk in Europa immer dazu aufgerufen, auf legale Weise im Rahmen demokratischer Verhältnisse seinen Protest zum Ausdruck zu bringen. Außerhalb dieses Rahmens dürfen sie niemals handeln. Wenn es bisher nicht zu größeren Ausschreitungen gekommen ist, dann ist das auf unsere Aufrufe zur Mäßigung zurückzuführen.

Sie haben erklärt, daß sie den Krieg in der Türkei ausweiten werden. Gibt es nun auch Anschläge auf touristische Einrichtungen?

Zivile Einrichtungen gehören nicht zu unseren Angriffszielen. Wir haben nichts gegen Touristen und gegen zivile Einrichtungen. Wir haben keine Probleme mit ihnen. Unser Problem ist die Türkei. Die Europäer sollten begreifen, daß sie den Kurden großen Schaden zufügen, wenn sie weiterhin auf der Seite der Türkei stehen. Auch die Touristen sollten die Türkei nicht finanziell unterstützen. Selbstverständlich haben sie ein Recht auf Urlaub, egal wo. Aber sie sollten auch wissen: Jede Mark, jeder Dollar, jeder Franc, den sie ins Land bringen, fließt in den Krieg. Damit werden Menschen getötet, wird das kurdische Volk massakriert. Das sollten die Touristen verstehen und die Türkei nicht weiter unterstützen. Nur das verlangen wir von ihnen, mehr nicht.

Interview: Michael Enger/

Yavuz Fersoglu