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„Hier sind 1000 Öcalans!“

In der Alsterdorfer Sporthalle feiern rund 7000 Hamburger KurdInnen Newroz  ■ Von Elke Spanner

Die alte Frau in der ersten Reihe hat die Hände im Schoß gefaltet. Den Kopf zur Seite geneigt, blickt sie selbstvergessen zur Bühne. Regungslos. Als prallten der Jubel, der Applaus, die Rufe „Biji, biji“ an ihr ab. Auch sie ist ganz bei ihm, dem Sänger. Auf ihre Art.

„Er ist der Berühmteste.“ Als könne er durch lautes Sprechen einen Zauber brechen, haucht Deniz den Satz ehrfurchtsvoll gegen die riesigen Boxen an, die das Lied von Siwan Perwer wiedergeben. Perwer gilt Deniz als „der Sänger des kurdischen Volkes“. Er singt einzelne Sätze, hält dann sein Mikrofon den ZuschauerInnen entgegen. Jetzt singen sie für ihn. Als das Stück zu Ende ist, danken sie ihm mit Applaus, der lauter dröhnt, als die gewaltigen Boxen links und rechts der Bühne es wiedergeben könnten.

Über 7000 KurdInnen feierten am Samstag in der Alsterdorfer Sporthalle ihr Neujahrsfest New-roz. Eigentlich ist Newroz ein islamisches Fest. Doch der türkische Staatsgründer Kemal Atatürk hatte es 1923 verboten. Anfang der 80er Jahre erklärten die KurdInnen New-roz zu ihrem Nationalfeiertag.

Zehn Frauen stehen in einer Kette formiert direkt vor der Bühne. Sie tragen bodenlange, pailettenbesetzte Kleider, die langen Haare sind mit Tüchern in Rot-Gelb-Grün aus dem Gesicht gebunden. Im Publikum sind nur vereinzelt die kurdischen Farben zu sehen, nur die wenigsten haben sich für die New-roz-Feier geschmückt. Ein kleiner Junge, der aufgeregt nach vorne läuft und Siwan Perwer Blumen überreicht, trägt ganz trendy eine rot-blaue Trainingsjacke von Adidas.

Die Frauen schirmen die ZuschauerInnen von der Bühne ab, doch die Gefahr, daß die nach vorne drängen, ist nicht groß. Ordentlich sitzen alle auf ihren Plätzen. Ihr Tanz besteht im Schwenken von glimmenden Wunderkerzen und von rot-gelb-grünen Fahnen mit dem Porträt Abdullah Öcalans. Nur vereinzelt stehen kleine Gruppen zwischen den Sitzreihen und tanzen. Im Gang zwischen den Stuhlreihen haben sich Frauen an den Händen gefaßt, wippen im Takt des Liedes vor und zurück. Ganz hinten im Saal in einer fast unbeleuchteten Ecke sind es Jugendliche, die im Kreis tanzen und jeden Satz mitsingen.

Öcalan, der jüngst verhaftete Anführer der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), ist auch anwesend. Sein handgezeichnetes Porträt ziert die gesamte Rückwand der riesigen Bühne. Ringsum schmücken Bilder von ihm die Alsterdorfer Sporthalle. Mal blickt er grimmig, mal lachend auf die KurdInnen herab. Viele von ihnen tragen Fahnen und Bilder von Öcalan bei sich. Ein Mädchen hat sich einen Aufkleber mit seinem Porträt mitten auf die Stirn geklebt. Auch in den Reden und Liedern ist von ihm die Rede. „Die Türken sagen, sie haben Öcalan festgenommen“, höhnt Siwan Perwer in sein Mikrofon. „Aber das stimmt nicht“. Laut ruft er: „Hier sind 1000 Öcalans“. Und erntet ein entschlossenes „Biji Öcalan“ (Es lebe Öcalan) aus zigtausend Kehlen.

Rein räumlich sind Kultur und Politik getrennt. Dunkel ist es in der großen Halle. Taucht man von dort in den Eingangsbereich, ist es plötzlich erschreckend hell. Unten ist die Feier. Oben reiht sich ein Bücherstand an den nächsten. Fast ausschließlich Männer drängen sich hier. Die „Kommunistische Arbeiterpartei der Türkei“ hat Bücher ausgelegt. Die „Samstagsmütter“ zeigen Bilder von Verstümmelten und fordern auf einem Transparent: „Wir wollen unsere Kinder wieder.“ Am Stand nebenan werden Pailettenkleider verkauft und gehäkelte Tischdeckchen in Blaßrosa.

Überall liegen Unterschriftenlisten aus. Gegen die von Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) verlangte Schließung des kurdischen Fernsehsenders MED-TV. Gegen die Abschiebung von KurdInnen in die Türkei. Stände von Islamisten und Aleviten stehen direkt nebeneinander. Auch die „Yeziden“, Mitglieder einer rein kurdischen Religionsgemeinschaft, haben einen Stand. Doch überwiegend gibt es in der Eingangshalle Bücher, Romane und politische Schriften. Der „Kurdische Künstlerverband“ stellt Postkarten aus, darunter auch Motive von der Hamburger Künstlergruppe „Die Schlumper“.

Siwan Perwer hat sein Programm beendet. Die pathetische Stimmung löst sich in einer Verschnaufpause auf. Die Gänge sind inzwischen allein von Kinderwagen, nicht mehr von TänzerInnen gesäumt. Plötzlich knallt es donnernd laut auf der Bühne. Funken sprühen wie aus einem Springbrunnen vor dem Porträt Öcalans Richtung Decke. Die Boxen, die Instrumente, die bunten Blumengestecke, alles ist in die glitzernde Fontäne eingetaucht. Das Publikum zuckt beim ersten Knall noch erschrocken zusammen. Dann begrüßt es das Feuerwerk jubelnd mit dem Ruf: „Biji Apo“.

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