Vier Fäuste für ein Halleluja

Wollen oder Können oder Retro: Can im Columbia. Vier Soloprojekte statt eines gemeinsamen Auftritts. Dazu U-She statt Uschi beziehungsweise Nico. Nur Jaki Liebezeits „Club Off Chaos“ bringt frischen Groove  ■ Von Andrea Becker

Can kommt von Können, käme es von Wollen ... Mein Plattenspieler weigert sich zunächst, die staubigen Platten der „Kultband“ abzuspielen. Ein halbes Jahr hatte er untätig dem CD-Player zuhören müssen, und dann gleich „Flow Motion“, Can 1976. Nach ruckeln am Kabel dann aber doch die Mitteilung: „I want more“. Schöne Musik, aber warum eigentlich dieser komische Kult?

In der Columbiahalle links auf der Bühne ein Stapel Monitore mit bunten Bildern, auf der Bühnenkante ein junger Mann mit X-Mütze. Rechts jemand, den wir nach seiner ersten Ansage für Holger Czukay durchgehen lassen. Er duzt uns natürlich und dann redet er mit YO, einem Kunstwesen auf der Leinwand, das ihm eine Frage stellt: „Bist du der Sohn von Wilhelm Tell?“ Czukay legt einen Apfel auf seinen Kopf. Die Kiffer im Publikum kichern, und bei Can scheinen wirklich alle zu kiffen. Czukay wirft seine Maschinen wieder an, eine Sängerin, U-She (?!), kommt im superformbetonten Goldkleid auf die Bühne und singt. Ich dachte Nico sei tot, sagt jemand. Trotzdem kommt aus U-Shes Mund „Sunday Morning“ von Nico. Das war Playback! Aha.

Wieder fragt man sich, was den Can-Kult eigentlich ausmacht und denkt an Kraftwerk letzten Sommer in Roskilde – die allerdings den Mut hatten, zusammen aufzutreten. Heute abend werden wir keinen gemeinsamen Can-Auftritt erleben, das haben die Musiker vorher erklärt. Aber vier Soloprojekte. Czukay projiziert Schaufensterpuppen auf die Leinwand, und sich selbst, als junger Mann, unschuldig grinsend sitzt er neben Jaki Liebezeit (glaube, er ist es).

Draußen im Foyer trifft der Fotograf einen alten Kumpel, eine Art Can-Veteran. Der Mann hat die Band 1969 in Spandau gesehen, im Jugendclub Jet-Power. „Ich finde, sie sind dröge, früher waren sie Droge.“ „Grobschnitt, Embryo, weißt du noch die WG, wo die wohnten ...“ Der Kollegin vom Radio will er das nicht sagen, flüchtet vor dem Mikro zum Bierstand.

Inzwischen steht Michael Karoli auf der Bühne und versucht einen „Sofortkontakt“ zum Publikum herzustellen. Merkwürdiger Bandname, neue Joints. Kommt mir vor als sei ich mit dem Raumschiff auf einem Planeten mit anderer Zeitrechnung gelandet, wo sie immer noch Jazzrock spielen, sage ich zur Radiofrau. Darf ich das zitieren? Welcher ist denn nun eigentlich Karoli, der mit dem knackigen Arsch? Keyborder Irmin Schmidt und der Londoner DJ Kumo treten den Rückflug in die Gegenwart an. Jetzt meint man Techno und Drum&Bass-Einsprengsel zu entdecken. Ist das nun schon der Angriff der Vergangenheit auf 1999? Dann könnte er wohl relativ leicht abgewehrt werden. Einige Fans wirken zunehmend entnervt. Fünfzig Mark für diesen Mist, entlädt eine Rothaarige sich ins Mikro.

Die ersten Zuschauer unterhalten sich über vereitelte Selbstmorde naher Personen. Als man schon nach Hause flüchten möchte, Jaki Liebezeit. Er bringt frischen Groove in die inzwischen völlig zugequarzte Bude, als hätte jemand ein Fenster geöffnet. Sein „Club Off Chaos“ hat tatsächlich etwas Gegenwärtiges, das erste Mal an diesem Abend des verhinderten Retropops. Drumloops verheddern sich im Realschlagzeug, Tunes flippen lustig durch die Luft, die Beine bewegen sich nach stundenlanger Lähmung wieder. Ein merkwürdiges Experiment, dieses Konzert. Jetzt könnt eigentlich mal jemand den Staub von der Nadel pusten. Das muß noch nachgekalauert werden: ... käme es von Wollen, hießen sie Want.