„Ich bin auch ein Sieger“

Wie Radprofi Erik Zabel damit umgeht, knapp den Hattrick bei Mailand–San Remo verpaßt zu haben  ■ Aus San Remo Mirjam Fischer

An Matthias Schumann führt manchmal kein Weg vorbei. Jedenfalls nicht, wenn man sich am Vorabend von Mailand–San Remo in den Kopf setzt, dringend ein, zwei Worte mit Telekoms Sprinterstar Erik Zabel reden zu wollen. Dann stellt der Pressesprecher der Fernmelder auf stur. Gründe kann der Mann gleich serienweise vorschützen: Weil Zabel jetzt generell immer das erste große Rennen der Saison gewinnen soll, weil Mailand–San Remo eben das erste Weltcup-Rennen des Frühlings ist, weil Zabel 1997 und 1998 der Beste war und ein Hattrick allen gut gefallen hätte, und weil dann natürlich einer aufpassen muß, daß der Sprinter genug geschlafen hat.

Genützt hat es diesmal nichts. Andrei Tschmil aus dem belgischen Rennstall Lotto war am Samstag nach 294 Kilometern und 6:52,37 Stunden auf der Via Roma in San Remo das entscheidende Quentchen schneller im Schlußsprint gegen Zabel und bekam die größte Champagnerflasche von allen, um die Pressefotografen naß zu spritzen. Der gebürtige Moldawier mit belgischen Paß und Wohnort am Gardasee hatte Zabel (28), seinen Hauptkonkurrenten für Mailand–San Remo, endlich bezwungen.

„Opa“, wie ihn italienische Zeitungen gestern ob seines hohen Sprinter-Alters (36) nannten, hatte sich im Finale mit Schlauheit und großer Mannschaftsunterstützung durchgesetzt. Diese Hilfe wurde dem Sieger der vergangenen beiden Jahre nur bis zur vorletzen Steigung zuteil. Damit blieb der taktische Spielraum im Schlußspurt begrenzt. Daß der Telekom- Kapitän trotzdem ganz vorne wieder mit dabei war, unterstreicht, wie sehr ihm Mailand–San Remo liegt. „50 Meter weiter und ich hätte Tschmil gehabt“, sagte Zabel, dem in der ersten Enttäuschung nur noch „ein berühmtes deutsches Wort mit Sch“ einfiel.

Bei der Siegerehrung hieß es dann schon: „Ich kann mit dem zweiten Platz ganz gut leben.“ Sprach's, küßte Tschmil und lächelte schüchtern in die Kameras. Diesmal weinte Zabel jedenfalls nicht vor Glück wie vor einem Jahr, den Pokal bekam er nicht zu halten. Diesmal hatte Zabel nur ein paar Tränen der Enttäuschung in den Augen. Vielleicht auch Tränen der Erleichterung, daß die schwere Last, ein radsportliches Glanzstück vollbringen zu müssen, endlich von seinen Schultern genommen war. „Eigentlich bin ich doch auch ein Sieger“, sagte er, „schließlich war ich ganz alleine.“ Seine Helfer hatten ihn jedenfalls nicht mehr über die kräftezehrenden Anstiege zur Cipressa knapp 22 Kilometer vor dem Ziel, und schon gar nicht über den berüchtigten Poggio, der letzten giftigen Rampe kurz vor dem Ziel, geholfen. Nicht einmal der Italiener Alberto Elli, der vergangenes Jahr sein größter Widersacher gewesen war an diesen Streckenabschnitten und den Telekom extra gekauft hatte für derlei heikle Situationen.

Tour-de-France-Sieger Marco Pantani attackierte an der Cipressa, und Gabriele Colombo von Cantina Tollo riß am Poggio aus. Weder Barne Riis war in der Lage, Zabel zu helfen, und auch Jan Schaffrath, auf den die Deutschen bei diesem Rennen gehofft hatten, war im entscheidenden Augenblick nicht zur Stelle. Und Jan Ullrich, der rollte zeitgleich noch in Portugal seiner Form entgegen. Also auch von ihm keine Hilfe für Zabels große Pläne in seinem wichtigsten Rennen der Saison. Von den drei Sprinthelfern, die Teamchef Walter Godefroot nominiert hatte, gar nicht zu Reden.

Also, und da muß man Zabel Recht geben, ist der zweite Platz jedenfalls nicht der Platz eines Verlierers. Und die deutschen Interviewer waren auch nicht Schuld. Sie hatten Matthias Schumann jedenfalls nicht beim Heldenschlaf gestört. Dafür die Kontrolleure des Radsport-Weltverbandes UCI: Sie kamen um 4.30 Uhr in der Frühe und weckten Zabel und die Telekoms zum Bluttest. Auch die Fahrer von Festina, Once und Lotto (drei Mannschaften, die bei der Tour de France im vergangenen Jahr einschlägig im Zusammenhang mit Doping aufgefallen waren) bekamen Besuch im Morgengrauen.

Vor dem Rennen hatte sich Zabel noch darüber geärgert, daß er früher als geplant aus den Federn mußte und dann auch noch zur Ader gelassen wurde. Als dann die knapp 300 Kilometer absolviert, Platz zwei als Erfolg verbucht und das bürstige Haar getrocknet war, da hatte Erik Zabel wieder die Fassung gewonnen. Frühmorgens von Doping-Kontrolleuren geweckt zu werden, meinte Zabel, sei halt der Preis, der zu zahlen ist, wenn man will, daß der Radsport wieder an Ansehen gewinnt. Und außerdem: „Andrei Tschmil hat es ja auch erwischt.“