"Kein Zugang zum Glück"

■ Wenn sich alle Konflikte nach innen verlagern: Ein Gespräch mit Thomas Arslan, der in seinem Film "Dealer" den tragischen Niedergang eines türkischen Drogenhändlers nachzeichnet

In Thomas Arslans drittem Spielfilm „Dealer“ hat sich die Aktion ins Atmosphärische verlagert. Vor einer violetten Fläche hängt das öffentliche Telefon, mit dem der Held Can (Tamer Yigit) seine Freundin anruft und sich vergeblich um Nähe bemüht, türkis und blau die Wand daneben. Es sind die Fatalisten und Distanzierten, die in diesem Film den Ton angeben: Can, der beinahe schlafwandlerisch seine Zeit mit kleinen Drogendeals vertut, und den weder der rege Zivilbulle Erdal (Birol Ünel) noch seine Freundin Jale (Idil Üner) erreichen. Dabei ist Jale, die Can aus Protest gegen seinen Lebensstil verläßt, selbst unterkühlt.

„Dealer“ ist nach „Geschwister“ (1997) der zweite Part einer Berliner Trilogie mit türkisch-deutschen Jugendlichen in den Hauptrollen. Wieder drehte Arslan teilweise mit Laien, aber statt auf Dokumentarisches setzt er nun auf klare, farbintensive Tableaus, die die Verfassung seiner Figuren festhalten, sich einer Erklärung aber verweigern. Ähnliches gilt für die Orte: anonymisiert, in die Unauffälligkeit zurückgenommen, ist die Stadt nicht wichtig. Thomas Arslar ist 37, lebt in Berlin und arbeitet zur Zeit am dritten Teil der Trilogie, der sich um ein neunzehnjähriges Mädchen und deren Zukunftsperspektive dreht.

taz : Was verbindet Ihren neuen Film „Dealer“ mit Ihren beiden vorherigen Filmen „Mach die Musik leiser“ und „Kardesler“ (“Geschwister“)?

Thomas Arslan: Es gibt keinen direkten Zusammenhang, aber das Thema hat sich aus der Arbeit ergeben. Bei der Darstellersuche bin ich mit sehr vielen Leuten zusammengetroffen, die direkt oder indirekt mit diesem Drogenumfeld zu tun hatten.

Die Idee, einen jugendlichen Drogendealer zur Hauptperson zu machen, stand von vornherein fest?

Ja, ich habe das als eine Herausforderung begriffen, gerade einen Film zu machen über etwas, was eigentlich völlig verstellt ist mit diversen Klischees. Die Aufgabe war, nicht absolut von den Klischees abzusehen – weil man dann gar nichts mehr erzählen kann –, aber sie im Laufe des Filmes aufzulösen, um eine andere Realität sichtbar zu machen.

Damit wenden Sie sich auch gegen die übliche filmische Repräsentation des kriminellen Ausländers.

Normalerweise sind Figuren wie Can bloß Randfiguren. Mich hat aber das soziale Milieu viel weniger interessiert, als die mentale Verfassung einer Person, die sich in so einem Umfeld bewegt. Der Titel „Dealer“ impliziert ja einen ganzen Bedeutungshof. Ich habe versucht, dieses Geflecht im Laufe des Films ins Leere laufen zu lassen. Nichts, was man erwartet, wird bedient. Die Hauptfigur ist ja von einer großen Hilflosigkeit gekennzeichnet, auch was beispielsweise die Beziehung zu seiner Freundin betrifft.

Sie haben hier auf die Benutzung vielleicht naheliegender machistischer Handlungmodelle verzichtet. Es gibt eine Schießerei und eine Prügelszene, deren Opfer ein Stricher ist. Sonst haben Sie weitgehend auf Darstellungen von Gewalt verzichtet. Warum?

Die Konflikte haben sich nach innen verlagert. Es gibt ja eine ganze Reihe von auch ausländischen Filmen, die in diesem Milieu spielen und diese Sache bis zum Überdruß durchdekliniert haben. Ich dagegen war nicht an einer vordergründigen Art von Aktion interessiert. Eher an der Beschreibung eines mentalen Zustandes. Die Hauptfigur befindet sich in einem Zustand der Verwirrung, die es ihm unmöglich macht, eine eigenständige Wahl zu treffen. Insofern ist alles, was eine narrative Handlungsspannung anbelangt doch sehr in den Hintergrund gedrängt.

Das Kamerakonzept scheint viel eher ihre Intention abzubilden als die Erzählung. Wie sind Sie bei der Konzeption vorgegangen?

Mir war die Stilisierung wichtig. Allerdings so, daß die Figuren darin nicht komplett untergehen. Zum anderen wäre es schlicht zu plan gewesen, diese Form von Geschichte auch noch durch die Betonung der Häßlichkeit oder des Verfalls zu erzählen. Deswegen habe ich mich auch um „schöne Farben“ und ein klares Licht bemüht, um zu akzentuieren, wovon die Hauptperson getrennt ist, wozu er keinen Zugang findet, dem Glück oder der Schönheit. Er sieht die Dinge um sich herum, begreift sie aber nicht. Insofern findet er keinen Platz für sich, der ihm irgendeine Form von Halt gibt. Wenn man diese Außenwelt noch mal als Tristesse gemalt hätte, hätte das überhaupt keine Dimension mehr.

Durch den weitestgehenden Verzicht auf Totalen, und das Verfahren, eher nah an den Personen zu bleiben, bietet sich die Möglichkeit, ihnen mehr Würde zu lassen, und nicht den Raum um sie herum überdeterminiert darzustellen. Es gibt keine leichten Erklärungen wie etwa eine heruntergekommene Sozialwohnung, den fiesen Plattenbau oder Ähnliches.

„Dealer“ ist auf den Internationalen Filmfestspielen gelaufen und nicht auf einem nationalen Festival. War Ihnen das wichtig?

Ich denke, der Film war da ganz gut aufgehoben, weil der Focus hier nicht sofort ausschließlich auf den Aspekt „türkisch-deutscher Film“ ausgerichtet ist. Stichworte wie „zerrissen zwischen zwei Welten“ oder die ständige Bemühung der deutsch-türkischen Polarität sind für mich irrelevant. Das sind Etikettierungen, mit denen ich nicht sonderlich viel anfangen kann. Für mich sind meine Filme deutsche Produktionen, aus dem simplen Grund, weil der Produktionsstandort Deutschland ist. Ohne damit etwas Nationales oder gar Emotionales zu verbinden.

Sie kommen aber nicht drum herum, daß sie zu deutsch-türkischen Themen Stellung nehmen.

Sicher, aber es gab eine ganze Reihe von Kritiken, die in der Regel eher auf das soziologische Phänomen abheben, als sich die Filme mal genauer zu betrachten. Das hieße, die Filme ernst zu nehmen, zumal sich die soziologische Herangehensweise ziemlich schnell erschöpft.

Welche Bedeutung haben die Berliner Originalschauplätze, an denen gedreht wurde?

Ich habe mich nach Orten umgeschaut, die nicht so unmittelbar signifikant für Berlin sind. Der Raum sollte ein logischer sein, tatsächlich ein nachvollziehbares Viertel, und nicht willkürlich über irgendwelchen Ecken der Stadt verstreut. Die Ecken, von denen jeder zweite, der Berlin kennt, weiß, daß da gedealt wird, kommen nicht vor.

Gibt es etwas, das Ihre bisherigen Filme untereinander verbindet?

Das ist für mich schwer zu sagen, das hieße, daß ich da auf ein Werk zurückblicken würde – und da sind drei Filme doch reichlich wenig. Ich versuche, mit jedem Film etwas Neues auszuprobieren, das sich in der Regel aus der vorhergehenden Arbeit oder auch aus der Unzufriedenheit damit ergeben hat. Ich strebe keinen persönlichen Stil an, den ich jedem weiteren gewählten Thema überstülpen würde. Die Form entsteht immer am Material. Interview: Gudrun Holz