„Das Dogma Wehrpflicht muß jetzt fallen!“

■ Nicht das Verfassungsgericht, sondern Rot-Grün schafft die Wehrpflicht ab, hofft Angelika Beer

Angelika Beer ist Verteidigungsexpertin der grünen Fraktion im Bundestag

taz: Warum soll die Wehrpflicht plötzlich nicht mehr verfassungskonform sein?

Angelika Beer: Die maßgebliche Formulierung im Grundgesetz in Paragraph 12a lautet: Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz und im Zivilschutzverband verpflichtet werden. Es gibt also keinen Zwang. Die sicherheitspolitische Lage Deutschlands – wir sind ja in der Tat nur noch von Freunden umgeben und nicht mehr bedroht – rechtfertigt diesen massiven Eingriff in das Leben junger Männer nicht mehr.

Was bedeutet der Beschluß des Potdamer Landgerichts konkret?

Endlich hat ein Gericht die Frage der Sicherheitslage aufgenommen. Das geht jetzt weiter an das Bundesverfassungsgericht. Die Politik muß aber schon vorher eine Entscheidung treffen und sollte nicht warten, bis das Bundesverfassungsgericht Korrekturen erzwingt. Die Politik muß sich endlich der seit 1989 veränderten sicherheitspolitischen Konstellation stellen.

Der Kläger von Potsdam ist Totalverweigerer.

Auf der Grundlage dieses Beschlusses sollten alle Strafverfahren gegen Totalverweigerer ausgesetzt werden. Die Kriminalisierung dieser Männer muß aufhören.

Die Bundesregierung hält an der Wehrpflicht fest. Ist das Potsdamer Landgericht fortschrittlicher als die rot-grüne Koalition?

Wir Grünen fordern die Abschaffung der Wehrplicht und aller anderen Zwangsdienste seit Jahren. Wir sind für den Aufbau einer stark reduzierten Armee aus Freiwilligen. Leider konnten wir uns bei den Koalitionsverhandlungen damit nicht durchsetzen. Eine Kommission hat jetzt den Auftrag, die Struktur und den Auftrag der Bundeswehr zu prüfen. Dabei wird sie auch die Frage der Wehrgerechtigkeit stellen.

Der Gerichtsbeschluß wird also die Arbeit der Wehrstrukturkomission beeinflussen?

Ja, dieser Beschluß ist Rückenwind für uns Grüne. Die Frage der Wehrpflicht darf nicht auf die lange Bank geschoben werden, sondern muß jetzt politisch und juristisch überprüft werden. Das Dogma „Keiner rüttelt an der Wehrplicht“ muß jetzt endlich fallen!

Wie, glauben Sie, wird das Bundesverfassungsgericht letztlich entscheiden?

Ich möchte nicht in die Freiheit der Justiz eingreifen. Es sprechen aber viele Gründe dafür, daß man auch beim Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung kommt, die Sicherheitslage der Bundesrepublik und die Kooperation mit den Nato-Partnern rechtfertige die Wehrpflicht nicht mehr. Interview: Robin Alexander