: „Der redet mir zu blöd“
■ Mit einer musikalisch vorgetragenen „Geschichte des Klaviers“ langweilte Ratko Delorko in der Glocke eine große Schar von (zumeist) gut erzogenen Kindern
Der Pianist Ratko Delorko hat sich ein wunderbares Projekt ausgedacht: die Geschichte des Klaviers. Er reist umher mit zwanzig Instrumenten, die er in einem Gesprächskonzert vorführt. Naheliegend, daß auch Glocke-Geschäftsführerin Ilona Schmiel so ein Projekt für tauglich fand, die erfolgreich angelaufene Serie „Familienkonzerte in der Glocke“ zu zieren. Zwar hieß es in der Ankündigung „ab sechs“, doch Delorko war nicht willens, vielleicht auch nicht in der Lage, sein Gesprächskonzept auf die bremische Situation einzustellen. Er blieb beim eingelernten „Sie“, ratterte mit vielen Fach- und Fremdwörtern durch die Geschichte des Klavierbaus und die Geschichte der Musik, ohne die jeweiligen Voraussetzungen zu nennen.
Sogar mir schwirrte der Kopf nach Formulierungen wie „es gab erstmal keine temperierte Stimmung“, „man ist in beständigem Tastenkontakt“ oder „das wurde dann mit dem pythagoreischen Komma gelöst“. Da nutzte es wenig, daß die Kleinen am Eingang mit Klavierhammern beschenkt wurden, mit denen sie sich bei zunehmender Langeweile behackten. Trotzdem äußerten sich die meisten Kinder positiv – gut erzogen. Eine Sechsjährige ging selbstbewußt in die Pause: „Der redet mir zu blöd.“ Geschichte des Klaviers: Welche historischen Auseinandersetzungen gibt es um die Instrumente, welche aufschlußreichen Anekdoten gibt es gerade aus dem Virtuosentum! Keine einzige brachte Delorko in seinem trockenen Text unter, bis auf die, daß der Bösendorfer Flügel der erste war, den Franz Liszt nicht kaputtkriegte: Eine nichtssagende Story, wenn man nicht gleichzeitig etwas über das Virtuosentum im neunzehnten Jahrhundert sagt.
Auch waren die gespielten Stücke für diesen Zweck zu lang, pianistisch blieben viele Wünsche offen. Trotzdem kam was rüber, und wer kräftig aufpaßte und mitdachte, erfuhr etwas über den Wechsel von der gezupften zur geschlagenen Saite am Anfang des 18. Jahrhunderts und die ständige Vergrößerung des Resonanzraumes wegen ständiger Vergrößerung der Räume ab dem späten 18. Jahrhundert. Und es war nichts weniger als ein Erlebnis, die Instrumente direkt nebeneinander zu sehen und zu hören: das zarte Clavichord von Silbermann – ja welcher denn aus der berühmten Orgelbauerfamilie? Wahrscheinlich Johann Andreas – für die Musik von Johann Sebastian Bach, der farbenreiche Hammerflügel und das Tafelklavier für die Wiener Klassik, das baritonale Erard-Klavier für die erzählerische Musik von Robert Schumann, endlich die großen, dann auch serienmäßig hergestellten Konzertflügel von Blüthner, Steinway und Bechstein.
Die immer wieder auftauchende Frage, ob denn nicht die Komponisten am Zustand ihrer Instrumente litten, ob sie nicht eigentlich für deren nächsten Entwicklungsstand geschrieben hätten, konnte anhand der Zusammenstellung von Delorko klar verneint werden. Der spezifische Zauber eines Instrumentes ist die Grundlage für die Struktur der Komposition. Und Delorko gelang am Ende eine interessante Steigerung seiner Ausführungen, als er den witzigen Design-Flügel von Colani zeigte – „wie ein Auto sieht der aus!“ – ein Keyboard aus den siebziger Jahren und ein Spielzeugklavier, für das auch John Cage Stücke geschrieben hat.
Ute Schalz-Laurenze
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