Tür an Tür mit Georg

■ Das Museum Weserburg zeigt ab heute Papierarbeiten von Georg Baselitz aus der Sammlung Deutsche Bank

Turm B, 24. Stockwerk im Frankfurter Zwillingswolkenkratzer der Deutschen Bank – Georg Baselitze, wohin man blickt. Hunderte an der Zahl. Seit Anfang der 80er Jahre, quasi in Form eines Dauerabos, hortet das Geldinstitut weltweit auf den Fluren und in den Büros seiner Filialen Arbeiten des bekanntesten deutschen Malers sowie anderer deutscher KünstlerInnen (pro Stockwerk im Zwillingshochhaus ein anderer!). Anfang der 80er Jahre die Entscheidung zu treffen, Baselitze zu sammeln, war eine auch unternehmerisch kluge Entscheidung der kunstsinnigen Bankstrategen. Denn der 1938 als Georg Kern in Deutschbaselitz/Sachsen geborene Maler und Bildhauer zählt seit seiner documenta-Teilnahme 1982 neben Sigmar Polke und Gerhard Richter zu den Vaterfiguren der „Neuen Wilden“ und seit den 90er Jahren gar zu den teuersten Malern weltweit.

Und zu diesen kunstgeschichtlich bedeutenden Superlativen gesellt sich nun eine weitere renommierte Auszeichnung. Georg Baselitz ist für das Bankhaus der „Künstler des Geschäftsjahres 1998“ und schmückt als solcher den Geschäftsbericht der Bank. Die Zeiten, wo solche Nachrichten Anlaß für ironisch-spöttische Bemerkungen waren und vom lesenden Publikum auch zustimmend zur Kenntnis genommen wurden, sind lange vorbei. Vielleicht ist das auch besser so. Statt dessen lauscht man Menschen wie Gerhard Fischer, Mitglied der Bremer Geschäftsleitung der Deutschen-Bank-Filiale, und läßt sich erläutern, das Kunstengagement seines Hauses gründe sich in dem Wunsch, „die politischen Auseinandersetzungen und Umbrüche, wie sie sich in der modernen Kunst widerspiegeln, in die Arbeitswelt unserer Mitarbeiter zu tragen“. Er sagt es. Wir glauben es nicht. Und nicken trotzdem freundlich – so funktioniert das Spiel heute. Ist auch das besser so?

Nun denn, blicken wir zum Schluß noch auf das, wodurch die gebaselitzen Angestellten seit Jahren auf die virulenten politischen Auseinandersetzungen und Umbrüche vorbereitet werden. Arbeiten auf Papier von Ende der 50er Jahre bis 1998 aus der Sammlung Deutsche Bank sind ab heute im Neuen Museum Weserburg zu sehen.

Dank der chronologischen Hängung der Radierungen, Tuschezeichnungen, Holz- und Linolschnitte lassen sich die wechselnden Werksphasen Baselitz' sehr anschaulich verfolgen. Die frühen Radierungen „Rebell mit Fahne“, „Hundejunge“ und „Der Hirte“ rufen die Aufregung in Erinnerung, die Baselitz' „Heldenbilder“ in den 60er Jahren in der ost- und westdeutschen Kunstszene provozierten. Fernab vom proletenverherrlichenden sozialistischen Realismus der DDR und im krassen Gegensatz zur Abstraktion des Informel, wie er zu jener Zeit in der Bundesrepublik dominierte, zeigen seine Arbeiten geschundene, deformierte Kreaturen, die der Malerei ihre traditionelle Figürlichkeit und Gegenständlichkeit zurückgaben, ohne sich im hohlen Zitat zu ergehen.

Auch wenn Baselitz sich in den 70er Jahren bis an die Grenze zur Ungegenständlichkeit bewegt – einige titellose Arbeiten der Ausstellung sind dafür Beleg – hat er sich doch immer als gegenständlicher Maler begriffen. Allerdings mit einer für ihn typischen eigentümlichen Wendung. Denn das abgebildete Motiv ist kein bloßes Abbild von Wirklichkeit, sondern Ausdruck eines intellektuellen Refle-xionsprozesses. Das, was man schließlich auf dem Papier sieht, ist weniger das Motiv selbst als „der Mechanismus, der in mir denkt“, wie Baselitz es einmal umschrieb.

Die Parallelen zu den Ideen der „reinen Malerei“, die zu Beginn des Jahrhunderts die Bilder „vom Gegenstand reinigen“ wollten, sind offensichtlich. Doch auch hier stellt Baselitz das ursprüngliche Motiv auf den Kopf, indem er in seinen Arbeiten zwar die Gegenständlichkeit beibehält, sie aber im Sinne der reinen Malerei als sekundäres Phänomen begreift. Was genau Baselitz da malt, tritt zurück hinter der Frage, mit welchen malerischen Mitteln er zu seiner Bildkomposition gelangt. „Willkürlich“ sei seine Beziehung zu den Gegenständen, beschreibt Baselitz dieses Verhältnis. Und unterstreicht diese Willkürlichkeit noch durch die bekannten „Bilder auf dem Kopf“, die er ab 1969 malt.

Seine „umgedrehten“ Porträts, Landschaften oder Tiere, für die die Ausstellung Belege bis in die jüngste Vergangenheit liefert, werden gar zu so etwas wie seinem Markenzeichen und verfolgen vor allem die eine Idee: daß die Perspektive auf die Welt, wie sie ist, Konventionen unterliegt, die der Künstler zu durchbrechen vermag und gemäß seiner eigenen ästhetischen Vorstellungen neu schaffen kann.

All das also ist in der Weserburg zu sehen und trägt, wir erinnern uns an Herrn Fischer, die politischen Umbrüche in die Lebenswelt der Mitarbeiter. Auf das es bald heißt: Alle Räder stehen auf dem Kopf und somit still, wenn der nadelstreifenumhüllte Arm es will. Gut, daß die Deutsche Bank Baselitze sammelt. zott

Die Ausstellung ist ab heute bis zum 11. April im Neuen Museum Weserburg zu sehen. Öffnungszeiten: Di-Fr, 10-18 Uhr; Sa u. So, 11-18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein 50seitiger Katalog erschienen, der kostenlos erhältlich ist. Weitere Infos, etwa über die speziellen Öffnungszeiten über die Ostertage, gibt es unter Tel.: 59 83 90