Vor dem Berliner Gipfelsturm

■ Ab morgen streiten die EU-Regierungschefs über die Agenda 2000: abgeschirmt im Luxushotel. Das gemeine Volk wird die Politiker kaum erspähen, darf aber mit Euros spielen

Der Countdown für den EU- Gipfel läuft. Morgen vormittag werden die 15 Staats- und Regierungschefs und 400 Delegierte der Europäischen Union auf dem militärischen Teil von Tegel landen. In Limousinen von Volkswagen und Audi werden sie zum Hotel Interconti an die Budapester Straße chauffiert werden, eskortiert von der Polizei. „Insgesamt haben wir für die Konvois 170 Pkws und 30 Kleinbusse“, sagt Wolfram Wickert vom Bundespresseamt in Berlin. In den kommenden zwei Tagen soll hier die umstrittene Agenda 2000 verabschiedet werden.

Die Bundesregierung hat für den EU-Gipfel, der sie rund 10 Millionen Mark kostet, das Interconti gemietet. 500 Zimmer stehen in dem Luxushotel an der Budapester Straße zur Verfügung. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird in der Präsidentensuite schlafen, in der auch schon der amerikanische Präsident Bill Clinton genächtigt hat. „Die Wände sind bombensicher“, sagte Petra Wolf, Pressesprecherin des Interconti. Außerdem gebe es in der Suite ein eigenes Telefonnetz, das abhörsicher sei, und eine eigene, vom Interconti unabhängige Stromversorgung.

Doch der Gipfel wird weniger von Glamour als vielmehr von Arbeit geprägt sein. Auch die Ehefrauen, so ist geplant, werden zu Hause bleiben. Selbst das Familienfoto der Chefs wird nicht in frühlingshafter Idylle, sondern am Tagungsort geschossen werden. Der Ablauf ist einem strengen Zeitplan unterworfen: Zuerst trifft sich Bundeskanzler Schröder mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, José Maria Gil-Robles. Anschließend nimmt die Spitze der Delegation von 51 Teilnehmern an dem sogenannte Korfu- Tisch Platz. Der Tisch, der 1994 für den Gipfel in Korfu gebaut wurde, wird aus „Sparsamkeitsgründen“, so Wickert, auch in Berlin benutzt. Der Tisch, an dem die Agenda 2000 verhandelt werden wird, ist 15 Meter lang und 10 Meter breit. In der Mitte ist ein Loch, in das ein Kunstwerk mit den verschiedenen Landesfahnen der Europäischen Union eingebettet ist. Ob das Symbol der Einheit auch

diesem Gipfel die nötige Signalkraft gibt, wird sich zeigen: Werden die Regierungschefs den Gipfel stürmen oder auf halber Strecke zerstritten stehenbleiben?

Nach den ersten Verhandlungen am Mittwoch vormittag wird es ein dreigängiges Mittagessen im Interconti geben. Staats- und Regierungschefs und Außen- und Finanzminister werden, nach Ressorts getrennt, verhandeln. Nach weiteren Unterredungen am Nachmittag werden die Gipfelteilnehmer am Abend im Preußischen Landtag dinieren. Anschließend ist Zeit für sogenannte Kamingespräche. Letztlich werden die nächtlichen Gespräche in der Interconti-Bar Marlene dem politischen Tagesgeschäft noch die Zunge lösen müssen.

Allein, die Klausur der Politiker wird durch die zeitweise Anwesenheit der Presse durchbrochen werden. Allerdings

werden die rund 4.000 akkreditieren Journalisten die meiste Zeit gar nicht am Ort des Geschehens sein, sondern in einem extra eingerichteten Pressezentrum in der Kunsthalle der Berlinale arbeiten. 40 Kilometer Übertragungs- und 25 Kilometer Telefonkabel sowie 1.100 Telefone dienen den Journalisten zum Verbreiten der neusten Informationen von Glanz oder Scheitern des Gipfels. Doch auch die Journalisten selbst sollen während der Tage nicht nur durch Nachrichten bei Laune gehalten werden: „Wir kochen, was das Herz begehrt“, sagte Helmut Angerer, der Chef des Partyservices im Pressezentrum. Und zählt genüßlich kulinarische Köstlichkeiten wie Scampi, Ofenroastbeef und Berliner Buletten auf. Die Zutaten habe er ausschließlich in Berlin und Umgebung gekauft, betont er. Schließlich solle mit dem Gipfel auch die Region Berlin gestärkt werden. Die Logistik der Firma sei darauf vorbereitet, auch mit einem plötzlichen und unerwarteten Ansturm von bis zu 1.500 Menschen mehr als erwartet umzugehen. „Essen und Trinken dürfen nie ausgehen.“

Die Abschlußpressekonferenz wird im Zoo Palast stattfinden. Vier Kinos sind für Pressekonferenzen reserviert, in den anderen Vorführräumen läuft der normale Filmbetrieb weiter. „Zum Schutz der Politiker wird eine Wand aus Aluminium und Holz gebaut werden“, erzählt Wickert. Schließlich sollen auch hier die Staats- und Regierungschefs geschützt bleiben und nicht ins Getümmel der Kinobesucher geraten.

Die Hauptstadt wird also von ihrem hochkarätigen Besuch kaum etwas mitbekommen, kein Gang durch das Brandenburger Tor, kein Bad in der Menge. Um die Bürger wenigstens etwas teilhaben zu lassen, wird für die Dauer des Staatsbesuchs ein Euro-Zelt am Potsdamer Platz aufgebaut werden. Dort soll über die europäische Politik informiert werden. Einmal Staatschef spielen und mit Millionen jonglieren? Dort gibt's zur Probe erste Euroscheine. Annette Rollmann

Fotos [M taz]: Chr. Schmitz,

U. Baumgarten, AP