Dangotango, Dangotango, Dangotango

■ Singende Reisbällchen sollen die Konjunktur Japans stimulieren

Die Japaner sind im Dangofieber. Die gebratenen Reisbällchen haben sie ja schon immer gemocht. Dango, das sind die japanischen Fritten. Seitdem die weißen Kugeln, die für gewöhnlich an einem zwanzig Zentimeter langen Holzstäbchen aufgespießt werden, allerdings in einem Minimalmusik-Tangorhythmus-Popsong verewigt worden sind, kennt der Dangokult keine Grenzen mehr.

Am Anfang war die Wirtschaftskrise. Die schlechte Stimmung im Lande ärgerte selbst vor allem die Lustiglustig-Moderatoren der Nippon-Hoso-Radiostation in Tokio. Dauernd riefen während der Plauderstunden Frauen an, deren Männer sich wegen des einen Börsencrashs oder der anderen Firmenpleite aufgeschlitzt oder aufgehängt hatten. Japan lag darnieder, man sparte an allen Ecken und Kanten, statt Sushi-Häppchen wurden allerorts die einfachen Dangobällchen verschlungen.

„Dango, das ist unsere Rettung“, meinten die Hoso-Radioleute schließlich und mixten eine Dangohymne. Ein Tangobeat war schnell gefunden, eine Dreitonmelodie ebenfalls. Der Liedtext handelt von drei an einem Spieß vereinten Reiskugelbrüdern, die ein ungewöhnliches Schicksal ereilt. Der ältere Dango, so die kleine Fabel, sorgt sich um den Jüngsten, der Jüngste ärgert sich darüber, und der Dango in der Mitte hält sich für einen Pfundskerl. Nach einem Streit, wer am besten aussehe, schwören sich die drei, im nächsten Leben am gleichen Stab wiedergeboren zu werden, nur eben in einem anderen Geschmack. Die Dangos leben länger als erwartet, werden nicht verzehrt, sondern feiern im Küchenschrank vergnügliche Partys. Happy-End in Japan. Eine Sensation. Die Geschichte der Dangobrüder war flugs graphisch umgesetzt, im Comicvideo hopst der Dangostab im Scheinwerferlicht, lachen, brüllen und vertragen sich die Dangokugeln. Im Februar wurde das Fast-Food-Produkt auf dem wackligen japanischen Schallplattemarkt lanciert.

Dann ging alles sehr schnell. In den Oricon Charts, der japanischen Hitparade, schoß der Titel „Dango 3 Kyodai“ (3 Dango-Brüder) Anfang März nach oben, nach zwei Wochen war der „Dangotango“ die unangefochtene Nummer eins. Zwei Millionen CDs mit dem gelben Reiskugelcover wurden bislang verkauft. „Dangotango, Dangotango, Dangotango“, singen die Kids in Japans Straßen, die Eltern repetieren den Hit vor den Karaoke-Monitoren. Ryoichi Takayanagi, Manager von Hoso Radio, gibt sich zwar erstaunt: „Wir hätten nie gedacht, daß die Sache so weit gehen würde.“ So ganz mag man das aber nicht glauben, läßt der Rundfunkmanager den „Dangotango“ doch alle halbe Stunde abspielen. Seine Medienfirma steht mittlerweile wieder richtig gut im Kurs an Tokios Börse. Dango avancierte zum Symbol für den Wiederaufstieg Japans.

Längst ist eine Dango-Fan-Internetseite eingerichtet worden; allerdings ist die beliebte Homepage (http://www.ponycanyon.co.jp/wtne/cdj/0303_dan.html - mit Audio-Dateien!) leider komplett japanisch. Wer unbedingt wissen möchte, wie die echten Dangos aussehen und schmecken, kann die Dinger im Chinaladen testen. Warnung: Dangos schmecken eher langweilig, wenn man vergißt, sie ordentlich mit Sojasauce zu würzen.

Stellt sich noch die Frage, warum die Japaner den alles in allem ebenso schlichten „Dangotango“ so mögen. Der Soziologe Norio Kanijo vom Dentsu-Institut für menschliche Studien in Tokio erklärt sich die Popularität folgendermaßen: „Die Geschichte der drei Dangobrüder rührt meine Landsleute.“ Ach nein, Gefühle! Jahrelang sagten die Japaner: Arbeite, arbeite, arbeite! Selbst die so wichtige Familie verlor an Bedeutung, und die Geburtenrate sank. Trostlose Entwicklung. Jetzt erinnern die aus Reis gemachten Dangobrüder an bessere Zeiten, als es noch große Familienfeste gab und die Freude der Japaner nicht von ihren Finanzen abhing.

Lustigerweise bringt der massenhafte Kauf der Dango-CD auch die Wirtschaft wieder in Schwung. Eine Ehefrau, die sich und den Sohnemann mit dem Dangotango erfreuen will, bringt dem Ehemann schon mal eine Krawatte mit nach Hause. Es wird wieder eingekauft, und bald werden bestimmt wieder viele kleine Japaner geboren. Carsten Otte