: Hemdsärmelwarme Haimat
Die Kölner Haie spielen Eishockey in der modernsten Halle Europas vor über 18.000 Zuschauern, haben aber in den Play-offs Mühe, ihr Spiel auf das Niveau der Umgebung zu heben ■ Von Bernd Müllender
Wer schon einmal drüben war, in den Vereinigten Sportstaaten, kennt diese Hallenmonster: Eine höher, gigantöser, größenwahnsinniger als die andere; mit steilen Tribünen, die bis in den Himmel reichen würden, wenn da nicht doch irgendwann ein Dach wäre. Auch die neue KölnArena, Europas modernste und größte Multifunktionshalle, ist so: viel Licht, sehr viel Tech, noch mehr Sound, alles superclean, also schön steril und an jedem Sitzplatz ein seperater Halter für den Coke-Becher.
Henkelmann sagt der kölsche Volksmund zur neuen Heimat der Eishockey-Haie ob der kühn geschwungenen äußerlichen Dachkonstruktion. 18.200 Menschen passen zum Puckspiel hinein. Über 13.000 Neugierige kamen bislang im Schnitt – das ist mehr zahlende Kundschaft als der 1.FC und Fortuna gemeinsam in Fußballiga zwei schaffen. Am Sonntag galt es, im Viertelfinale der Deutschen Eishockey-Liga DEL gegen die Frankfurter Lions ein entscheidendes fünftes Spiel zu erzwingen.
Der Puck ist aus gut 50 Meter Höhe als fliegender Krümel tatsächlich immer noch erkennbar, weshalb sie ihn vernünftigerweise nicht vergrößert haben. Hilfsweise aber ist mittig überm Eis nach US- Vorbild ein riesiger Videoklotz installiert (den sie „Turm“ nennen, obwohl er doch hängt). Auf vier weiten Leinwänden ist das Spiel aus allen vier Richtungen parallel zu verfolgen. Mit Nahaufnahmen, Wiederholungen, Zeitlupen – wie im richtigen Fernseh-Leben.
Gewürzt ist das Video-Zweitspiel mit zahllosen Schwenks durch den Zuschauerbereich. Dann erkennt man, daß die meisten Besucher offenbar dauernd auf das Stadion-TV gucken statt aufs echte Puckgejage. Denn kaum erscheint jemand auf dem Schirm, entdeckt er sich, lacht fingerzeigend und winkt sich selbst jubelnd zu. Was die Kölner ZuschauerInnen noch nicht gelernt haben: daß man in einer solchen Halle nach US-Vorbild nicht bis zu den Drittelpausen mit dem Konsumieren wartet. Dann gibt es draußen auch nicht solche Warteschlangen.
Draußen ist natürlich immer noch drinnen. Alles sieht gleich aus mit den einheitlichen Shops, Information Desks, Kölschständen, Becherrückgabeschaltern und Freßecken für Würste, Hamburger, Nachos, Pizzaquarters mit reichlich Anglizismen und futuristischen Preisen. Man läuft im Kreis, auf sieben verschachtelten Ebenen mit derart bizarren Treppenkompositionen, daß ein echtes Labyrinth sofort neidisch würde.
Chaos-Kombattanten sind die stets bemühten und amerikanisch freundlichen, aber auch nach einem halben Jahr noch überforderten Servicekräfte mit den hochkorrekten Krawatten und Halstüchern: Hier lang, da lang, ja natürlich, erst da rauf und dann runter. Kein Problem. Grotesk wird es, wenn sie dieses herrliche rheinisch- allwissende „müßte“ und „normal“ in ihre Wegbeschreibung einbasteln. Natürlich war alles unnormalerweise immer woanders als gewiesen, aber das nur am Rande der Bande. Die gleich zu Beginn des Matches an einer Stelle kaputtging, weswegen sympatischerweise nach einem „Haustechniker“ gerufen wurde und nicht etwa nach dem Supervisor Technician.
Mit dieser Reparaturpause und der Verlängerung war man in einem strafzeitengespickten Match mittlerweile volle dreieinhalb Stunden zugange, und es wollte immer noch kein Ende nehmen. Frankfurt, das 24 Stunden zuvor mit einem prügelintensiven 5:2 bei satten 163 Strafminuten im 3. Spiel in Führung gegangen war, hatte konterstark 2:0 geführt. Köln konnte mit Mühen zum 2:2 ausgleichen, was endlich rosenmontaghafte Sangesstimmung in die ausverkaufte Edel-Bude brachte.
Die Frankfurt Lions, alle bis hin zum Manager mit putzig orangerot gefärbten Haaren, ließen ab Minute 54 volle fünf Minuten Überzahl fahrlässig verstreichen. In der Overtime hatte der Referee ein Einsehen und schickte, was selbst die bevorteilten Kölner verblüffte, weil im Sudden Death ungewöhnlich, kurz nacheinander gleich zwei Frankfurter raus. Noch mal brauchten die Haie 58 Sekunden, dann endlich war nach fast 68 Minuten Spielzeit das Spiel entschieden. Und Kölns Reserve-Keeper Beppi Heiß konnte Richtung Frankfurt maulen, „viele kanadische Spieler“ kämen „nur zum Prügeln hier rüber“. Die Mehrheit in der Liga haben die Cracks aus NHL-Landen sowieso.
Über ein Jahrzehnt beherrschte das Rheinland die Eishockey-Szenerie. Tempi passati: Die Düsseldorfer EG, die als einzige die Kaspereien mit Tiernamen (trotz der Heimat Brehmstraße) nicht mitmachte, ging 1998 das Geld aus und kellt jetzt in der Zweitklassigkeit der „1. Bundesliga“ herum, dem Sammelbecken der international längst unbedeutenden deutschen Spieler. Dort kommen, wenn ewige Talente wie Leo Stefan und Ernst Köpf ihr Gnadenbrot herunterspielen, gegen Nordhorn und Braunlage immerhin noch 5.000 Zuschauer in den legendären Pucktempel.
Ratingen, längst als Revierlöwen nach Oberhausen zwangsverschickt, beendete die Saison als Letzter, schaffte in 26 Auswärtsspielen 26 Niederlagen, konnte aber überraschenderweise finanziell überleben (anders als vermutlich die Landshuter Cannibals). Krefelds Pinguine streckten traditionell im Viertelfinale die Stummelflügel – jetzt wie im Vorjahr gegen Berlins Dynamo-Eisbären, einen der heißen Titel-Favoriten. Kurios das aktuelle Viertelfinale: Im dritten Spiel am Freitag führten die Pinguine im Sportpark Hohenschönhausen erfolglos mit 4:1; am Sonntag reichte eine 5:4-Führung (nach 2:4-Rückstand) nur bis sechs Sekunden vor Schluß.
Bleibt nur Köln, die sich nach verkorkster Vorrunde erst am letzten Vorrundenwochenende überhaupt für die Play-offs hatten qualifizieren können. Ob die 18.200 in der „Erlebniswelt einer Freizeit-Immobilie“ (so der Chef der KölnArena) nach dem heutigen Match fünf in Frankfurt noch mal randürfen? Der Wiederherstellung der Eishockeykultur würde es nicht dienen: Jenem Charme des Morbiden, der so viele enge, bisweilen baufällige Hallen von Krefeld über Augsburg bis Landshut verbindet, wo man möglichst eng stehen will, weil es verdammt hockeykalt ist und nicht hemdsärmelwarm wie in der gutgeheizten KölnArena.
Übrigens: Erinnert sich noch jemand außerhalb Mannheims, wer zuletzt Meister war?
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