■ Indonesien wird seit Tagen von tödlichen Unruhen erschüttert
: Das Erbe Suhartos

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht aus Indonesien neue Horrormeldungen über Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen bekanntwerden. 1998 war die chinesische Minderheit der Sündenbock, mittlerweile haben sich die tödlichen Konflikte in andere Regionen des riesigen Archipels ausgebreitet. Außer im besetzten Ost-Timor kommt es auch in Aceh, Ambon und jetzt in Kalimantan zu Haßausbrüchen von plötzlich verfeindeten Gruppen. Meist verlaufen die Konfliktlinien zwischen von Jakarta geschickten Zuwanderern und alteingesessenen Einheimischen. Es geht um lokale Macht und Zugang zu Ressourcen, religiöse Motive sind nur Beiwerk.

Nun entladen sich lang angestaute Aggressionen, die in den Jahrzehnten der Diktatur gewaltsam unterdrückt worden waren. Bei ihrem Eindämmungsversuch wirken die Sicherheitskräfte heutzutage bestenfalls hilflos. Manchmal sind sie selbst nur zur Gewalt fähig und gießen damit zusätzlich Öl ins Feuer.

Das Suharto-Regime, das nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ bis zum vergangenen Mai regierte, duldete keinen Widerspruch. Alle Entscheidungen waren in seinen Händen zentralisiert. Mitbestimmung, regionale und kommunale Selbstverwaltung waren Fremdworte – dafür spielte die Zentrale Gruppen und Regionen gegeneinander aus. Suhartos Masche als „starker Mann“ war es, sich zusammen mit dem Militär als die einzige Kraft zu präsentieren, die das Riesenreich zusammenhalten könne.

Die Unruhen scheinen auf den ersten Blick Suhartos Anhänger zu bestätigen und dürften als Vorwand herhalten, um Stimmung gegen die für Anfang Juni angesetzten Wahlen zu machen. Doch die explosive Lage ist ein Erbe Suhartos. Die schwere Wirtschaftskrise spitzt die Verteilungskonflikte zu. Heute rächt sich, daß in der Vergangenheit im Vielvölkerstaat Indonesien keine föderalen und demokratischen Strukturen entwickelt wurden. Die Zivilgesellschaft blieb unter Suharto unterentwickelt, da sie sonst herrschaftsgefährdend hätte werden können. Zivile Konfliktregelungsmechanismen wurden außer Kraft gesetzt. Heute reichen schon Gerüchte, um Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen.

Die Unruhen zeigen auch, über wie wenig Rückhalt die Regierung von Präsident Habibie verfügt. Ihre Abkehr vom Suharto-Regime blieb halbherzig. Nur eine echte Demokratisierung und Föderalisierung bietet die Möglichkeit, den verschiedenen Bevölkerungsgruppen den Glauben an eine friedliche Zukunft zurückzugeben. Sven Hansen