Die Blumen des Mißbrauchs

■ Gunnar Dreßler inszeniert Dea Lohers „Tätowierung“ im Theater in der Basilika als wenig subtilen Versuch des Totliebens

Floristen binden nicht nur Sträuße. Ihnen kommt auch die Verantwortung für Wachstum und Erblühen der Pflanzen zu. Trotzdem subsumiert man nicht unweigerlich die floristische Tätigkeit unter den Sammelbegriff Pflegeberufe. Diesen Gedanken initiiert allerdings das Stück Tätowierung aus der Feder von Dea Loher. Ursprünglich setzte Regesseurin Sybille Linke den Stoff in Szene, schmiß dann aber aus nicht näher geklärten Gründen das Handtuch. Der Intendant am Theater in der Basilika, Gunnar Dreßler, übernahm die Baustelle.

Tätowierung kreist um das zerstörerische Potential, das Blutsbande – insbesondere die von Vater und Töchtern – unter dem Deckmantel der Liebe bergen.

Der sexuelle Mißbrauch der älteren Tochter Anita (Maike Schiller) determiniert das gesamte Geschehen auf der Bühne. Alles ist eindeutig. Es gibt kein Geheimnis. Umso deutlicher treten die Überredungsmechanismen des Vaters Wolfgang Wucht (Klaus Falkhausen) heraus, umso sichtbarer werden die Fäden, die sich subtil und effektiv um Anita spinnen.

Dabei läßt das Stück keine Gefühlsvariation unberücksichtigt. Es benennt Anitas umfassende, lähmende Angst vor den Übergriffen des Vaters parallel zu ihrem Altruismus, der die Schwester Lulu (Renate Regel) vor dem Vater bewahren soll. Daneben dringt in der Geschwisterbeziehumg immer auch Neid und Eifersucht auf die schreckliche Aufmerksamkeit des Vaters an die Oberfläche. Die Mutter (Anne Moll) ist vor derlei ambivalenten Emotionen ebensowenig gefeit, hat sich aber weitestgehend in ihre eigene Welt zurückgezogen, die ihr jegliche Verantwortung für die Töchter abnimmt.

Die festgefahrene Situation scheint sich zu lockern, als Anita mit dem Floristen Paul Würde (Sven Tjaben) anbändelt und so der elterlichen Wohnung entfliehen kann. Pauls Überzeugung, einen Pflegeberuf auszuüben, artet in fanatische und dabei blinde Missionsarbeit an Anita aus. Immer mehr verrennt er sich in seine Aufgabe, das Vatermal, die Tätowierung, „totzulieben“. Von der verheißungsvollen Blumenmetaphorik, die sich um Flower-Paul rankte, ist bald nichts mehr zu vernehmen.

Am Ende steht, daß es für die väterliche Tätowierung keine Laserbehandlung ohne bleibende Narben gibt. Ein dramatisches Thema in dramatischer Umsetzung. Der Text zeigt Mechanismen auf, die durch ihre Subtilität schwer zu greifen sind. Darin liegt die Stärke des Stückes. Schwach dagegen sind die übertriebenen lautmalerischen Effekte. Ob sphärische Klänge oder gewaltige Choräle, die Akustik in Tätowierung droht in ihrer Aufdringlichkeit, alles zu übertönen.

Liv Heidbüchel

weitere Vorstellungen: 25., 29. und 31. März, 12., 15., 19., 25., 26. und 29. April, jeweils 20 Uhr