Neu: Die UNO gesteht ihre Fehler ein

■ UNO-Generalsekretär Kofi Annan verspricht „unabhängige Untersuchung“ der Duldung des Völkermordes in Ruanda 1994

Berlin (taz) – Fünf Jahre nach dem Völkermord in Ruanda bekennt sich die UNO endlich zu ihrem damaligen Versagen. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat am Montag in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung der Rolle der UNO in Ruanda angekündigt. „Angesichts der Enormität des Völkermordes, der in Ruanda geschah, sind die Aktionen der Vereinten Nationen unmittelbar vor und während der Periode der Krise noch immer mit Fragen behaftet“, schrieb er. „Es ist daher meine Intention, eine unabhängige Untersuchung der Aktionen, die die Vereinten Nationen zu jener Zeit unternahmen, einzusetzen.“

In Ruanda wurden zwischen April und Juni 1994 schätzungsweise 800.000 Menschen, fast alles Angehörige der Tutsi-Minderheit, von Hutu-Milizen unter Anleitung höchster Stellen in Regierung und Militär umgebracht. Radikale Hutu, die nach dem ungeklärten Tod des Staatschefs Juvenal Habyarimana bei einem Flugzeugabsturz am 6. April 1994 die Macht in Ruanda ergriffen hatten, wollten damit die 1993 unter UN-Vermittlung ausgehandelte Machtteilung zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda physisch überflüssig machen. Die UNO, die zur Umsetzung des 1993er Abkommens über 2.000 Blauhelme in Ruanda stationiert hatte, blieb beim Beginn der Massaker untätig und zog schließlich völlig ab, während jeden Tag Tausende von Menschen starben. Diese Haltung gilt als das größte Versagen der UNO in ihrer Geschichte.

Daß die UNO während des Völkermordes nicht aktiv wurde, war unter anderem auf die Zurückhaltung der UN-Mitgliedsstaaten zurückzuführen. Doch ist mittlerweile auch erwiesen, daß die UN-Zentrale in New York – wo Kofi Annan damals für Blauhelmmissionen zuständig war – in den Monaten vor dem Völkermord Hinweise auf die Vorbereitung von Massakern ignorierte. Berühmtheit hat ein Fax erlangt, das der UN-Kommandant in Ruanda, General Romeo Dallaire, am 11. Januar 1994 nach New York schickte. Er gab Aussagen eines ruandischen Informanten über die Vorbereitung der „Auslöschung“ von Ruandas Tutsi durch die Hutu-Miliz „Interahamwe“ wieder und empfahl ein militärisches Einschreiten. Die UN-Zentrale gab dafür kein grünes Licht und hielt die Informationen sogar vor dem UN-Sicherheitsrat zurück.

Zum Skandal wurde dies vollends, als Dallaire im Februar 1998 vor dem Ruanda-Völkermordtribunal im tansanischen Arusha seine Vorwürfe wiederholte und als eine Ruanda-Untersuchungskommission des französischen Parlaments im Dezember 1998 weitere Einzelheiten offenlegte. Der französische Bericht zitiert eine bestürzende Aussage Annans gegenüber der Untersuchungskommission zu diesem Thema. Demnach sei es „löblich“ gewesen, daß der UN-Sicherheitsrat sich damals „gegen jeden Vorschlag eines aggressiven Einsatzes von Friedenstruppen“ gewandt habe. Der Bericht führt aus, daß die UN-Zentrale statt des von Dallaire gewünschten Militäreinsatzes Gespräche mit Ruandas Staatschef Habyarimana und der Spitze der Regierungspartei MRND über deren bewaffnete Milizen anordnete. Diese Gespräche, konstatiert der Bericht, „hatten als einzige Folge die Beschleunigung der Verteilung von Waffen“. In Ruanda und der gesamten Region ist die UNO seit 1994 ohnehin völlig diskreditiert. Daß Annan nun erstmals in der UN-Geschichte eine unabhängige Untersuchung einer UN-Mission verspricht, die ungehinderten Zugang zu allen Dokumenten haben soll, ist ein überfälliger Schritt. Ohne eine solche Selbstreinigung wäre undenkbar, daß die UNO im Afrika der Großen Seen jemals wieder politische Initiativen ergreift. Die aber werden angesichts der neuen Kriege in der Region immer häufiger verlangt.

Dominic Johnson