Angst vor Armut durch die EU

Die polnischen Bauern machen gegen den EU-Beitritt mobil, weil sie um ihre Existenz fürchten. EU-Subventionen haben ihren Exportmarkt zerstört  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Der Begriff „Agenda 2000“ ist in Polen nahezu unbekannt. Obwohl sich das Land um die Aufnahme in die EU bemüht und alles daran setzt, die Beitrittskriterien zu erfüllen, scheint Brüssel weit weg zu sein. Nur zäh sickert die Erkenntnis durch, daß der Aufnahmetermin der EU-Kandidaten an die Agenda 2000 gekoppelt ist: Scheitert die Reform Ende März, verschiebt sich die Osterweiterung der Europäischen Union um mindestens ein Jahr.

In Polen hatten sich die Bauern schon auf den warmen Geldregen aus Brüssel eingestellt. Landwirtschaftsminister Jacek Janiszewski hat bereits die gleichen EU-Beihilfen für die polnischen Bauern eingefordert, die auch die EU-Bauern erhalten. Dagegen aber wehrt sich Brüssel. Würde das bisherige Subventionssystem auf die neuen Beitrittsländer übertragen, müßten die Ausgaben um zwölf Milliarden Euro (24 Milliarden Mark) auf jährlich 52,5 Milliarden Euro (rund 104 Milliarden Mark) steigen. Doch die EU will ihre Ausgaben nicht steigern, sondern drosseln. Die polnischen Bauern haben inzwischen begriffen, daß Brüssel nicht plant, sie genauso zu subventionieren wie die Westbauern. So ist die Stimmung inzwischen gekippt: Rund 46 Prozent der polnischen Bauern lehnen heute den EU-Beitritt ihres Landes ab. Sie fürchten ein Massensterben ihrer Höfe. Tatsächlich ist dies auch Ziel der EU-Strukturpolitik. Auch die polnische Regierung strebt nichts anderes an. Sie hat es nur noch nicht gewagt, dies offen zu sagen.

Brüssel plant nur geringe Agrarsubventionen

Die meisten EU-Länder haben diesen Prozeß bereits hinter sich. Noch immer geben jedes Jahr rund eine halbe Million Bauern ihren Hof auf. Insgesamt arbeiten heute in allen 15 EU-Staaten noch 7,5 Millionen Landwirte, das sind fünf Prozent aller Beschäftigen in der EU. In Polen sind es vier Millionen oder 27 Prozent aller Erwerbstätigen. Die EU-Bauern erwirtschaften 120 Milliarden Euro im Jahr, die polnischen gerade mal 7 Milliarden. Die Zahlen sehen für Polen aber schon etwas günstiger aus, wenn man die Selbstversorgerbetriebe abzieht. Sie tauchen am Markt gar nicht auf, stellen aber über die Hälfte der rund zwei Millionen Bauernhöfe Polens.

Die Kleinbauern wirtschaften meist auf nur einem Hektar, bauen ein bißchen Kohl und Kartoffeln an, haben eine Kuh und ein paar Schweine im Stall stehen und ein paar Hühner herumlaufen. Diese Bauern sind die Ärmsten der Armen. Ihre Kinder haben keine Perspektive, da es auf dem Land nicht nur an Schulen fehlt, sondern auch an Arbeitsplätzen im Handwerk oder Gewerbe. Für Millionen Polen ist das Plumpsklo neben dem Stall noch immer Alltag. Warmes Wasser aus der Leitung gibt es nicht, und ein Telefon hat nur der Pfarrer oder Ortsvorsteher.

Da in der Agenda 2000 diese Kleinbauern nicht berücksichtigt werden, soll ihnen mit dem EU- Fonds SAPARD („Special Accession Programme for Agricultural Development“) beim Aufbau einer neuen Existenz geholfen werden. Mit jährlich 500 Millionen Euro sollen die Regierungen der Beitrittskandidaten den ländlichen Raum bis 2006 auf EU-Standard bringen. Wenn ein Land vorher der EU beitritt, verliert es den Anspruch auf diesen Fonds, wird dann aber in die großzügiger ausgestatteten Strukturprogramme der EU- Agrarpolitik eingebunden.

Polen, das von allen Beitrittskandidaten den größten Agrarsektor hat, könnte jährlich 200 bis 220 Millionen Euro aus dem Fonds in Anspruch nehmen. Bedingung: Es muß einen allgemeinen Strukturentwicklungsplan für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft geben. Angestrebt werden können insgesamt 15 Ziele, wie ein besseres Bildungsangebot, die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft, die Verbesserung der ärztlichen Versorgung auf dem Lande oder Maßnahmen zum Umweltschutz.

Bis Juli haben die Landwirtschaftsministerien in den Beitrittsländern Zeit, um ihre Projektvorschläge einzureichen. In Warschau hüllt sich das Ministerium in Schweigen: Die Berufe, die auf dem Land neu entstehen sollten, auch die Arbeitsplätze – das alles sei ein „Staatsgeheimnis“. Erst wenn die Projekte von der Regierung genehmigt seien, könnten nähere Auskünfte gegeben werden, heißt es. Experten wie Professor Augustyn Wos vom Institut für Land- und Lebensmittelwirtschaft sind eher pessimistisch, wenn es um kurzfristige Wirkungen geht. „Die Bauern sind arm. Wenn jetzt ein Businessman auf dem Land seine Angebote macht – wer soll das denn kaufen?“ Wos schlägt vor, erst einmal dafür zu sorgen, daß ein Teil der Bauern den Aufstieg in die Mittelklasse schafft. Erst das würde eine Nachfrage nach Serviceleistungen insbesondere auf dem Handwerkssektor bewirken. Tatsächlich benötigt heute auf dem Land kaum jemand einen Schuster, Klempner oder Automechaniker. „Selbst ist der Mann oder die Frau“ heißt hier die Devise. Daß dann alles ein bißchen krumm und schief aussieht, das Auto nur fährt, wenn es gerade nicht regnet, die Menschen zuhauf an Krebs sterben, weil es auf dem Land keine Früherkennung gibt, nehmen die Menschen noch als „Schicksal“ hin.

EU hilft Kleinbauern bei Existenzgründung

Der anvisierte Beitritt Polens zur EU macht den Bauern klar, daß das Leben auf dem Land auch anders aussehen kann. Doch noch haben die meisten Bauern Polens weder von der Agenda 2000 noch von SAPARD gehört. Die Informationskampagne der Regierung hat die Dörfer nicht erreicht. Bei den Kleinbauern geht nun die Angst um, nach dem EU-Beitritt Polens endgültig den Boden unter den Füßen zu verlieren und als Bettler im gesellschaftlichen Aus zu landen.

In ihrem Widerstand gegen den Beitritt ihres Landes zur EU sehen sich die polnischen Landwirte bestätigt, nachdem sie einen ersten Vorgeschmack auf ihre Behandlung durch die EU bekommen haben. Denn mit ihren Exportsubventionen hat die Europäische Union den Markt der polnischen Bauern kaputtgemacht. Noch 1997 gingen über 40 Prozent der polnischen Lebensmittelexporte nach Rußland, bei manchen Wurstarten waren es bis zu 80 Prozent. Vom Handel profitierten beide Länder – Polen hatte einen riesigen Absatzmarkt direkt vor der Haustür, Rußland konnte seinen Importbedarf zu günstigen Preisen decken. Doch auch die EU hatte schon längst ein Auge auf den noch weitgehend unerschlossenen Markt geworfen. Allerdings gab es ein Problem: Die EU-Bauern produzieren zu teuer und müssen ihre Produkte dann auch noch Tausende von Kilometer nach Rußland transportieren.

Unter normalen Umständen hätten die polnischen Bauern hier das Rennen gemacht. Doch Brüssel zahlt inzwischen auf die Lebensmittelexporte der eigenen Bauern so viel drauf, daß die EU-Preise am Ende unter denen der Polen liegen. Und so ist in den letzten Jahren Rußland – nach den USA – zum zweitgrößten Abnehmer von EU-Lebensmitteln aufgestiegen. Nach dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft im August 1998 stiegen die Suventionen der EU noch einmal, da Rußland kaum Geld hatte, um die Importe zu bezahlen, die Union aber nicht auf ihren Fleischbergen sitzenbleiben wollte. Um Rußland zu helfen und zugleich die eigenen Überschüsse abzubauen, hat die EU eine weitere Lebensmittelhilfe im Wert von 400 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

Die Folge: Für die polnischen Bauern brach der Markt im Osten völlig zusammen. Die Regierung in Warschau kann den Lebensmittelexport nicht in dem Maße fördern wie die EU. Im Dumping-Wettlauf muß sie verlieren. Von allen EU- Beitrittskandidaten hat Polen den größten Landwirtschaftssektor und leidet daher am stärksten unter den Exportsubventionen der EU. Doch auch Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland sind betroffen. Am 10. Februar haben die Finanzminister dieser Länder sich zu einem Krisengipfel in Warschau getroffen und einen gemeinsamen Appell an Brüssel verfaßt. „Die Exportsubventionen der EU geben unseren lokalen Produzenten ein schlechtes Beispiel, insbesondere im Zusammmenhang mit dem baldigen Beitritt unserer Länder zur EU.“ Brüssel solle daher die Exportsubventionen einstellen. Von dort aber kam bereits eine Absage: Wenn Brüssel die Lebensmittelexporte nach Rußland nicht subventioniere, eroberten Amerika und Argentinien den Markt. Schlechte Aussichten also für Polens Bauern.