Die Vertreibungen haben System

■ Die Bevölkerung des Kosovo flieht panikartig vor den anrückenden Soldaten der jugoslawischen Armee. Die Repression nimmt zu

Mit der neuerlichen Vertreibung von Zehntausenden von Menschen ist im Kosovo eine humanitäre Katastrophe eingetreten. Dabei läuft immer wieder das gleiche Schema ab: Ein Dorf wird von der jugoslawischen Armee mit Artilleriefeuer belegt, dann werden die Sondertruppen des Innenministeriums, andere Polizeitruppen oder paramilitärische Kräfte in Bewegung gesetzt. Die Bevölkerung der betroffenen Landstriche und Dörfer flieht in Panik vor den anrückenden Soldaten. Manchmal versuchen Einheiten der UÇK- Guerilla nach der Flucht der Zivilbevölkerung dagegenzuhalten. Aber sie ist nicht stark genug, wirksamen Widerstand zu leisten.

Mit Dutzenden von Panzern, Luftabwehrgeschützen und anderen schweren Waffen wird seit diesem Wochenende die Region Drenica von Menschen „gesäubert“. Viele Menschen wissen nicht mehr, wohin sie fliehen sollen. In die am südlichen Rande der Region liegenden Stadt Gllogovac sind 20.000 Menschen geströmt. Wer Glück hat, kommt mit dem Traktor, die meisten sind zu Fuß. Doch wie lange werden die vor der Kälte Schutz Suchenden noch bleiben können? Vor wenigen Tagen war die 20 Kilometer nördlich gelegene Stadt Srbica von mehr als 10.000 Flüchtlingen belegt. Heute ist sie eine Geisterstadt.

Auch in Priština, der Hauptstadt des Kosovo, beginnt nun der Angriff. Die Polizei geht dabei nach einem Muster vor: Wie vorher in anderen Städten versuchen die serbischen Truppen zunächst, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bekommen. Polizeipatrouillen beherrschen das Straßenbild, die Menschen werden eingeschüchtert. Bomben wurden in albanische Cafés geworfen, in dem Café „Koha“ starb ein 17jähriges Mädchen. Jetzt trauen sich die Menschen nachts nicht mehr auf die Straße. Selbst die Mitarbeiter von Koha Ditore, der albanischen Tageszeitung, verbrachten die Nacht zum Dienstag in der Redaktion.

In Kosovska Mitrovica folgte im Sommer 98 als nächster Schritt die Durchsuchung der Häuser. Vor allem die Mittelschicht und die Intelligenzija laufen nun auch in Priština Gefahr, verhaftet zu werden. Die Büros der kosovo-albanischen Parteien könnten geschlossen, die Zeitungen verboten werden, so die Befürchtung. Schon jetzt hat der Druck auf Koha Ditore begonnen: Die Zeitung soll 60.000 Mark Strafe zahlen, weil sie den UÇK- Führer Hashim Thaqi zitierte.

55.000 Mann sind bei Armee, Polizei und Sondereinheiten unter Waffen. Dazu kommen noch bewaffnete serbische Zivilisten, die sich besonders bei den Aktionen in den Dörfern hervortun. Das ist viel, aber noch nicht genug, um das gesamte Kosovo zu beherrschen. Indem die serbischen Sicherheitskräfte schon im letzten Frühjahr die Kontrolle über die Grenze zu Albanien gewonnen hatten, gingen sie jetzt auch an der südlichen Grenze nach Makedonien nach ähnlichem Muster vor: Sie schufen durch Vertreibung der Bevölkerung eine Zone, die militärisch leicht zu kontrollieren ist.

Nun wird vom Norden her die Bevökerung systematisch vertrieben. Die meisten Regionen, in denen sich die Bodenschätze des Kosovo befinden, sind schon fest in der Hand der Serben. Mit der planmäßigen Vertreibung der Bevölkerung sind Fakten geschaffen worden. Erich Rathfelder, Tetova