Gallionsfiguren

■ Größenwahn statt Neo-Country: Wilco über Konzeptalben, Feiheit und eine Art Heimat

Mit Uncle Tupelo war er Geburtsfigur einer US-Szene, die um die Schubladen „Alternative Country“ und „Americana“ kreist – mit seiner aktuellen Band Wilco hält der Sänger und Songwriter Jeff Tweedy jetzt auch gutgelaunt die Grabrede: Summer Teeth, das aktuelle, dritte Album des Quartetts aus Illinois, ist ein leicht größenwahnsinniges Pop-Gesamtkunstwerk mit himmlischen Chören und fiesen Synthesizern, das Roots-Puristen um den Schlaf bringen wird. Ziemlich ausgeschlafen präsentierten sich Tweedy und der Multi-Instrumentalist Jay Bennett im Gespräch mit der taz.

taz: Ich vermute mal, bei den Sessions zu „Summer Teeth“ hing ein großes Schild im Studio. Aufschrift: „Bitte keine Twang-Gitarren und Cowboy-Hüte!“

Tweedy: Ja, und den Südstaaten-Akzent mußte man auch an der Tür abgeben!

Bennett: Wir haben uns nicht gesagt: Jetzt machen wir aber eine ganz andere Platte! Erst als wir im Studio waren, haben wir realisiert, daß dies eine andere Platte wird. Wenn es eine bewußte Entscheidung gab, dann die, stärker als Kollektiv zu arbeiten.

Tweedy: Es war eher so: Ich hab' wirklich genug davon, also laßt uns was anderes machen! Zudem gab es einfach keine Songs aus der Roots-Richtung.

Dafür eine Elegie wie „Via Chicago“, die mit den schönen Zeilen beginnt: „I dreamed about killing you again last night. And it felt alright to me.“ Machen dir deine Songs manchmal angst?

Tweedy: Ich weiß nicht, was diese Zeilen bedeuten. Es klingt einfach kraftvoll. Ich versuche nie zu sagen: Ach, das kann ich jetzt aber nicht sagen! Ich sage es, egal, ob es gut oder schlecht ist. Wenn es wahrhaftig erscheint. „Via Chicago“ war jedenfalls ein Katalysator, der den Sound des Albums definierte.

Bennett: Ja, danach mußten wir die anderen Songs auch nochmal unter die Lupe nehmen.

Könnte man sogar von einem Konzept-Album sprechen?

Bennett: Es ist ein Album, wie Alben früher mal waren. Da schienen sie ein bißchen mehr Sinn zu machen – als Alben, meine ich.

Tweedy: Es gab kein Konzept, aber die Songs sollten thematisch schon zusammenhängen. Ich habe nur Freude an Alben, die fast kinematographische Züge haben. Selbst eine ziemlich einfache Platte stelle ich mir immer als ganzes Bild vor: Jeder Song ist quasi nur der nächste Akkord eines Songs, für den schließlich das Album steht! Natürlich muß jeder Song für sich bestehen, aber am Schluß muß ein Gesamteindruck entstehen. Ob du darüber direkt eine Kontrolle hast, ist egal. Ich reagiere nur auf das, was ich höre. So wie eben jemand, der schon viele Platten gehört hat. So funktionieren Platten: Desire von Bob Dylan - fast nur Songs über Außenseiter. Sowas liebe ich.

Reagierst du also eher auf Platten als aufs wahre Leben?

Tweedy: Nein. Ich hoffe nicht.

Ihr habt die Aufnahmen zu Summer Teeth unterbrochen, um mit Billy Bragg Woody Guthrie-Texte vertonen zu können. Zudem hat Jeff Tweedy zwischendurch ein Album mit „Golden Smog“ aufgenommen. Kann es sein, daß damit euer Roots-Bedürfnis befriedigt war? Oder war der Einfluß eher umgedreht?

Tweedy: Bis zu einem gewissen Punkt hatten wir das damit erstmal befriedigt. Aber es ist schwer, Einflüsse genau festzumachen. In drei Jahren kann man zurückblicken und sagen: Ja, so kann es gewesen sein. Aber wenn man die Entscheidungen trifft, ist es unmöglich. Vielleicht hat Wilco relativ viele Freiheiten, weil wir eben wissen, daß es nicht unser einziges Ding ist. Oft kommen wir von den Projekten zurück und denken: Ja, hier können wir machen, was wir wollen. Wilco ist unsere Heimat. Da legst du die Füße hoch auf dem Sofa. Oder hinterläßt ein Chaos in der Küche und haust für ein paar Tage ab. Und wenn du wiederkommst, räumst du auch wieder auf.

Interview: Jörg Feyer Do, 25. März, 21 Uhr, Grünspan