Töchter, Tod und Tränen

Täuschungsmaschine mit ernstem Humor: Dimiter Gotscheff inszeniert Shakespeares schwarze Tragödie Lear am Schauspielhaus  ■  Von Karin Liebe

Ein Mann gibt freiwillig seine Macht auf und gräbt damit sein eigenes Grab. König Lear heißt dieser Mann in Shakespeares schwärzester Tragödie. Sie beginnt damit, daß Lear abdankt und sein Reich unter den drei Töchtern aufteilen will. Ein riesiger politischer Fehler, meint Regisseur Dimi-ter Gotscheff, der König Lear jetzt am Schauspielhaus mit Josef Bierbichler in der Titelrolle inszeniert. Klüger wäre es gewesen, zu fusionieren statt zu teilen. Lears Tragik liege darin, daß er das nicht rechtzeitig erkannt hätte.

Um Sein und Schein geht es im König Lear. Eitel fordert der abdankende König Liebesbeweise für seine vermeintlich großzügige Schenkung. Die beiden ältesten Töchter, Goneril (Almut Zilcher) und Regan (Bettina Engelhardt), schmeicheln ihm geschickt, nur Cordelia (Catrin Striebeck), die Jüngste und Lears Lieblingstochter, verweigert ihm die zuckrige Show. Sie erklärt wahrheitsgemäß, daß sie ihren zukünftigen Ehemann mehr lieben wolle als den Vater. So wütend ist Lear über ihre Ehrlichkeit, daß er Cordelia verstößt und enterbt.

Daß seine jüngste Tochter ihn mehr liebt als die Älteren, erkennt Lear erst, als es zu spät ist. Goneril und Regan empfinden den Vater schnell als Last und wollen seinen lärmenden, riesigen Hofstaat nicht bei sich aufnehmen. Enttäuscht und gedemütigt wird Lear schließlich wahnsinnig. Gotscheff findet es aber zu einfach, die zwei älteren Schwestern nur als „die bösen Weiber“ zu verurteilen. Sie handelten aus einer bestimmten Notwendigkeit heraus und spiegelten die Auseinandersetzungen in den Generationen wider.

Auch in der Parallelhandlung entzündet sich ein grausamer Konflikt zwischen zwei Generationen. Durch geschickte Intrigen versucht Edmund, ein unehelicher Sohn des Grafen Gloster, seinen Halbbruder Edgar und den Vater zu entzweien, um an das Erbe heranzukommen. Täuschung und Verrat überall zwischen Vater und Töchtern, zwischen Vater und Söhnen. Penelope Wehrli will die Bühne entsprechend als riesige Täuschungsmaschine mit überdimensionierten Drehspiegeln gestalten.

Seit zehn Jahren schon plant Gotscheff, der zuletzt Heiner Müllers Germania 3 im Malersaal inszenierte, die Aufführung von König Lear. In der Tragödie, die neben dem Niedergang der eitlen Väter auch den Zusammenbruch einer Epoche widerspiegelt, sieht er eine Korrespondenz zu heutigen Verhältnissen. Mit dem 50jährigen Bierbichler stellt er bewußt keinen alten, gebrechlichen König auf die Bühne, sondern einen Menschen in voller Blüte. Mit der ursprünglichen Wucht von Lear, seiner physischen Präsenz, soll die Fallhöhe um so stärker ins Auge fallen.

Nicht einmal einen Hofnarren stellt Gotscheff dem einsamen König zur Seite. Anfangs wollte der in Bulgarien geborene Regisseur den japanischen Regisseur Akira Kurosawa bitten, den Narren zu spielen. Doch als Kurosawa, der das Motiv von König Lear in Ran verfilmt hatte, im letzten Jahr starb, schlug Bierbichler vor, den Narren als Teil von Lear selbst zu begreifen. Der Witz des Narren, so Gotscheff, wirke heute sowieso nur noch altbacken. Wo bleibt da der letzte Rest von Humor in diesem rabenschwarzen Stück? „Ich lache sehr“, meint Gotscheff. Und schaut ganz ernst dabei.

Premiere am 27. März, 19.30 Uhr