Wider die Wollust

„Zeremoniell und Freiheit“: Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte beleuchtet das 18. Jahrhundet und die Welt des Johann Adolf Hasse  ■ Von Hajo Schiff

Kurz vor einer Jahrhunderwende reizt es natürlich, jeweils hundert Jahre als Einheit zu betrachten, auch wenn die geschichtlichen Epochen sich nicht an solches Zahlenspiel halten. So könnte man sagen, daß das 19. Jahrhundert erst 1914 beendet war, das 18. Jahrhundert aber bereits 1789. Gar nicht in präzisen Zeitschnitten sind die Kunststile zu fassen. Doch die Erinnerungsrituale lieben die runden Jubiläen.

So wird in Hamburg jetzt dem 1699 in Bergedorf geborenen Johann Adolf Hasse gedacht. Heute nahezu unbekannt, war er einer der berühmtesten Komponisten des höfischen Barock. Er schrieb über 60 Opern, war Hofkapellmeister in Dresden und gab Gastspiele in Paris, Wien und Venedig. Die Italiener nannten ihn „Padre della Musica“ (Vater der Musik). Da neue Aufführungen seiner heute ebenso end- wie spannungslos erscheinenden Hofopern nicht vorgesehen sind und Noten allein keine gelungene Ausstellung machen, widmet das Museum für Hamburgische Geschichte ihm einen Rückblick auf das ganze 18. Jahrhundert.

1699 war die Belagerung Wiens durch die Türken erst 16 Jahre vorbei und der sächsische Kurfürst August der Starke gerade König von Polen geworden, man stand an der Schwelle zum Jahrhundert von Canaletto, Casanova und Klopstock, von Goethe, Mozart und Voltaire. Noch bestimmte der Pomp des Absolutismus das Leben. So beginnt die Ausstellung mit der dies am besten ausdrückenden Kunstform: der Oper mit ihren Zeremonien und Maschinen, mit denen es möglich schien, Götter im Bühnenhimmel schweben zu lassen. Und die bürgerliche Welt versuchte, im Salon und im Garten ein klein wenig Anteil am Luxus des Adels zu haben. Doch hier im Bürgertum lag auch die Wurzel der kommenden Veränderungen zu Rationalität und Aufklärung, zu Wissenschaft und Privatwirtschaft.

Kleidung und Porzellan, Musik oder Gartenkunst: Die im Rokoko über jedes Maß gezierte Raffinesse wird nicht mehr als umfassende Überformung, sondern als Verbiegung und Unfreiheit empfunden. Die Ausstellung macht das mit vielleicht gar zu vielen Kulissenbauten deutlich: Plötzlich scheint die von einer ganzen Wand blickende Wiener Hofgesellschaft wie ein beängstigender Haufen von Chimären, und es wird klar, daß die Energie, die ganze Welt vermittels einer höchst entwickelten Formensprache zu fassen, nicht unbegrenzt aufrecht zu erhalten war. Schon 1730 schreibt Gottsched „die Oper ist nichts als eine Beförderung der Wollust“ und in Band 37 des Großen vollständigen Universal Lexicons aller Wissenschaften und Künste von 1743 steht: „Die Oper sey das ungereimteste Werke so der menschliche Verstand jemahls erfunden“.

Nun gilt Rousseaus Zurück zur Natur und eine idealisierte griechische Antike wird zum Vorbild. Zwei Jahre nach Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft und ein Jahr nach der letzten Hexenverbrennung in Europa stirbt Johann Adolf Hasse. Es ist 1783, das gleiche Jahr, in dem erstmals ein Mensch real und nicht durch Bühnentricks zu fliegen unternimmt und mittels einer Montgolfiere in den Himmel aufsteigt. Und England muß die Vereinigten Staaten von Amerika anerkennen, den Staat, der sich die Menschenrechte in die Verfassung schreibt.

Die Ausstellung wirft die Frage auf, was aus der Vielfalt des 18. Jahrhunderts auch im 21. noch nicht vergessen werden sollte, und sie erinnert an einige Hamburger Besonderheiten: Die Zuschreibung einer Dianafigur zur Dekoration einer Aufführung von 1712 in der einstigen Oper am Gänsemarkt, die Wiederentdeckung der um 1750 entstandenen Wandpaneele aus einem Hamburger Bürgerhaus, die Erinnerung an die längst vergangenen Landhäuser mit ihren Gartenanlagen in Billwerder oder die hölzerne Lostrommel der Hamburgischen Stadtlotterie, der ersten deutschen ihrer Art zur Finanzierung gemeinnütziger Zwecke. Und daß die Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten damals mit einer Auflage 25.000 in ganz Europa gern gelesen wurde, findet der heutige Berichterstatter ebenso bemerkenswert wie vorbildhaft.

„Zeremoniell und Freiheit“: Mo, 13 –17; Di – So, 10 – 18; Mi, 10 – 21 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte, bis 19. September