Frankfurter Kranz nach Art des Hauses

■ Sahnig und voller Süße – Franz Josef Degenhardt las in der Kulturbrauerei aus seinem neuen Roman, „Für immer und drei Tage“

Franz Josef Degenhardt ist wie Oma. Kommt regelmäßig zu Besuch. Macht sich Sorgen um die Welt und verbreitet Gemütlichkeit.

Seine Auftritte sind Kaffeekränzchen: Hingehen, hinsetzen, essen. Lieder wie Schwarzwälder Kirschtorte, sahnig und voller Süße. Man kann auch Degenhardter Barock dazu sagen. Diese Oma meint es gut mit uns, zwinkert einen warmherzig an, um dann stets dasselbe zu erzählen.

Degenhardt hat zwei große Themen: Erstens ist es zu Hause am schönsten. Zweitens stimmt das gar nicht, denn für ihn gibt es im Kapitalismus kein Glück. Hauptproblem: Haste was, biste was. Wer nichts hat, hat immerhin Probleme, manchmal einen Rausch oder eine Liebe oder ganz viel Ärger. In seinen Liedern lobt er entweder Sonne, Mond und Sterne aus der Rotweinperspektive, oder er klagt über Lohn, Preis, Profit aus der Selterswasserperspektive – ernüchternde Geschichten über Leute, die für Geld alles tun, sich sogar aus Verzweiflung umbringen. Degenhardt kündet vom Schlechten im Guten und umgekehrt. Yin und Yang für gekämmte Linke eben, die dann bedächtig mit dem Kopf nicken. Oma sagt uns, wie es ist.

Jetzt hat sie einen neuen Kuchen gebacken. Frankfurter Kranz nach Art des Hauses. Viel Kalorien, aber auch viel Geschmack. Einen Roman über das BRD-Leben an sich. „Für ewig und drei Tage“, am Dienstag abend hat er ihn in der Galerie der Kulturbrauerei vorgestellt.

Natürlich eine Familiengeschichte, selbstredend als Familienfest inszeniert – damit im bipolaren Degenhardtsystem alles seine Ordnung hat. Zum 95. Geburtstag eines Ruhrgbietskönigs Marke Thyssen oder Krupp kommt die halbe Bundesrepublik vorbeigepilgert, zumindest als Klischee. Reiche und Arme, sexuell Mühselige und Beladene neben freien Geistern, Übergewichtige und Sportler, Nazis und Terroristen – weil das Geburtstagskind so alt wird, tauchen in seinem Umfeld alle möglichen Typen auf, die mal so eben die Geschichte der Deutschen in diesem Jahrhundert konsumierbar machen. Damit man dabei nicht einschläft, wird ordentlich skandalisiert, gesoffen und gefickt. Und für die politisch Interessierten unter unter uns bricht auch noch die alte Ost-West-Welt im Hintergrund zusammen. Pünktlich zum Geburtstag putscht man in Moskau. Zufälle gibt's.

Da hat unsere Oma viel zu erzählen. Und acht Lieder hat sie auch noch gesungen. Das kann sie mit ihrer sympathischen sanft-heiseren Stimme ja auch sehr gut. Schüchtern, aber offen. Nicht so arrogant gefühlsbesoffen wie der Rest aus dem Jahrgang. Deshalb sind Biermann oder Wader auch keine Vorbilder für Begemann oder Rossmy, den Nachwuchs aus den Indiekreisen, in denen Neil Young genauso okay ist wie Franz Josef Degenhardt. Er denkt halt die schwierigen Fragen im einfachen Stil. Obwohl Degenhardt in 80 Minuten nur zwei Kapitel zum besten gab, hatte man den Eindruck, in eine komplex groteske Welt hineingeschleudert worden zu sein. Wie in den alten Degenhardt-Songs wimmelt es da von einleuchtend angedeuteten Charakteren à la „Horsti Schmandhoff“ oder „Toni Schiavo“; die kennt man nur ein Lied lang und vergißt sie dann sein Lebtag nicht mehr. Denn ihre Sorgen werden von ihm auf die witzige Tour flottgemacht, oft zu Hits verarbeitet. So kämpft der Ruhrgebietskönig, der im Roman, „Karl-Walter zur Linden“ heißt, genauso mit den dunklen Seiten seiner Geldverdienvergangenheit wie mit seiner spinnerten Leidenschaft für die Beatles; hat seine karrieristische Enkelin ihre Menschenfeindlichkeit sich mühsam im Freundlichkeitsterror der WGs anerzogen. Märchenstundenstimmung.

Bei Oma Degenhardt ist es supernett. Man weiß, was kommt. Das letzte Lied geißelte die Blödheit der Soldaten, sich tapfer totschießen zu lassen. Solange das so bleibt, ist einem auch die schönste Welt verdorben. Aber unsere Oma ist die Beste! Alexander Müller

Franz Josef Degenhardt: „Für immer und drei Tage“. Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 352 S., 38 DM