■ Kosovo (II): Warum die deutsche Öffentlichkeit so diffus reagiert
: Das ratlose, peinliche Schweigen

Die Bombendrohung gegen Belgrad ist eine gute Sache – wenn Milošević einlenkt. Die eiserne Faust kann, solange sie sich in Drohgebärde hält, Wunder wirken. Schlägt sie aber zu, ist sie furchtbar.

Die öffentliche Meinung, die diskutierende, palavernde Zivilgesellschaft, auf die die Linken sich theoretisch versteift haben, schweigt. Es ist ein ratloses, beschämtes, peinliches Schweigen, das ein Ereignis von größter Tragweite unkommentiert und unbeeinflußt läßt.

Dabei geht nicht nur der frühere Pazifismus flöten, der ja tatsächlich ein Vorgriff auf eine bessere Welt ist, über den sich streiten läßt. Was unkommentiert vor den Augen der Zeitgenossen zusammenbricht, ist etwas schon Erreichtes, mühsauf Aufgebautes: das Völkerrecht. Im Völkerbund, im Kellogg-Pakt und letzten Endes in der Charta der Vereinten Nationen haben sich die Völker gegenseitig versprochen, ihre Grenzen unter allen Umständen zu respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen.

Umgekehrt hingegen gibt eine militärische Intervention das Recht, gegen den Angreifer Krieg zu führen. Ein von Rußland unterstütztes Serbien hätte das Völkerrecht auf seiner Seite, wenn es mit allen Mitteln militärisch zurückschlüge.

Nicht aus Blauäugigkeit gegenüber möglichen Greueln fehlt der Charta der Vereinten Nationen eine Notstandsregel für den Fall, daß es irgendwo zu Massenmorden kommt. Sie fehlt aus berechtigter Furcht vor Eskalation – ein Gesichtspunkt, der heute, im Machtrausch der Nato, ganz in Vergessenheit geraten ist. Die internationale Verantwortung für Minderheiten setzt einen Zustand des Völkerrechts voraus, der noch nicht erreicht ist: eine kontraktuell legitimierte Weltpolizei. Das westliche Bewußtsein, die Moral der Zivilgesellschaft aber fühlt sich derzeit bereits grenzenlos verantwortlich.

Der Zwiespalt zwischen dieser Moral und der tatsächlichen internationalen Verfassung ist der unbewußte Grund für das verstockte Schweigen nicht nur der verantwortlichen Politiker. Würde sich die öffentliche Meinung diesen Grund bewußt machen, so hätte sie ein Ziel, für das sie redend eintreten könnte: die Entsouveränisierung der Nationen zugunsten einer reformierten UNO. Unter dieser Zielsetzung könnte sich auch der Abscheu gegenüber der anarchistischen Brutalität der geplanten Bombardierungen laut artikulieren. Sibylle Tönnies

Die Autorin ist Hochschullehrerin in Bremen