Islamisten kritisieren Wahlbetrug vor der Wahl

■ Hamas-Chef darf nicht Präsident werden. Sein Leben war nicht revolutionär genug

Madrid (taz) –Der Chef der gemäßigten algerischen Islamisten, Scheich Mahfud Nahnah, ist sauer: „Das ist ein vorweggenommener Wahlbetrug“, protestiert er gegen seinen Ausschluß von den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am kommenden 15. April durch den algerischen Verfassungsrat. Statt wie vorgesehen den Wahlkampf mit einer großen Versammlung in der Hauptstadt Algier zu eröffnen, mobilisiert der Vorsitzende der MSP-Hamas für heute seine Anhänger auf die Straße.

Bis gestern abend war noch offen, ob die Provinzverwaltung den „Friedlichen Marsch zum Präsidentenpalast“ in den Höhen der Hauptstadt genehmigen wird. „Für uns ist die Demonstration damit erlaubt“, erklärte ein Parteisprecher. Hamas verlangt von Präsident Liamine Zéroual, daß er „seine verfassungsmäßigen Pflichten wahrnimmt“ und Nahnah doch noch zur Kandidatur verhilft.

Als der Verfassungsrat am 11. März die Kandidatenliste bekanntgab, war Nahnah nicht unter den sieben, die sich um das höchste Staatsamt bewerben dürfen. Er erfülle nicht Artikel 157 Absatz 12 der im Jahr 1996 verabschiedeten algerischen Verfassung. Dort wird von allen Präsidentschaftskandidaten, die vor Juli 1942 geboren sind, ein Nachweis verlangt, daß sie im Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich in den Jahren von 1954 bis 1962 aktiv waren. Nach Ansicht des Verfassungsrates trifft dies auf Nahnah nicht zu. Und das, obwohl der Möchtegernkandidat, der im Januar 1942 das Licht der Welt erblickte, ein Dossier eingereicht hat, das nach seiner Ansicht das Gegenteil beweist. Drei Dokumente sollen Nahnahs aktive Mitgliedschaft in der späteren Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) belegen. „Ein Zeugnis, unterschrieben von zwei ehemaligen Offizieren des vierten Militärbezirkes, ein weiteres Zeugnis, unterzeichnet vom ehemaligen politischen Verantwortlichen der Region, und die Empfangsbestätigung auf einem Antrag für ein Zeugnis, am Widerstand teilgenommen zu haben“, heißt es aus der MSP-Zentrale. Obwohl die Anfrage bereits vor zwei Jahren eingereicht worden sei, habe die allmächtige Vereinigung der Mudschaheddin – der Veteranen des antikolonialen Befreiungskrieges – die Bearbeitung bis heute verschleppt und Nahnah somit ohne das wichtige Dokument gelassen.

Selbst zwei der zugelassenen Kandidaten, der ehemalige Regierungschef und FLN-Erneuerer Mulud Hamrusch und der Veteran der Befreiungsarmee, Jussef Chatib, geben Nahnah recht. Es nutzte alles nichts. Denn ein Widerspruchsverfahren vor dem Verfassungsrat ist nicht vorgesehen.

Nahnah ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der algerischen Politik. Der Absolvent einer Koranschule studierte nach der Unabhängigkeit des Landes an der Universität von Algier Arabisch. Dort kam er erstmals mit ägyptischen Lehrern der Muslimbrüder in Kontakt – und somit mit dem politischen Islam. 1976 gründete Nahnah die erste religiöse Untergrundorganisation Algeriens, „die Brüder vor Gott“. Die Gruppe schreckte auch vor Anschlägen nicht zurück. Nahnah wurde für das Umsägen von Strommasten zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Begandigung Anfang der 80er Jahre begann sich Nahnah allmählich zu mäßigen.

Seine große Stunde kam nach dem Verbot der Islamischen Heilsfront (FIS) 1992. Hamas strich fortan bei Wahlen einen Teil von deren Stimmen ein. So belegte der sich betont moderat gebende Nahnah bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1995 mit 25 Prozent der Stimmen den zweiten Platz hinter Ex-General Zéroual. Nahnahs Partei gehört seither einer Kolalitionsregierung aus der National-Demokratischen Versammlung (RND) und der FLN an. „Man hat uns verraten“, lautete die erste Reaktion auf Nahnahs Ausschluß von den Wahlen. Reiner Wandler