Dorfgerichte gegen den Völkermord

■ Ruanda plant die Wiedereinführung traditioneller Gerichte zur Aburteilung von Personen, die des Völkermords verdächtig sind. Das stößt nicht nur auf Zustimmung

Berlin (taz) – Ein Völkermordtribunal in jedem Dorf – mit diesem ungewöhnlichen Mittel will Ruandas Regierung die chronische Überfüllung ihrer Gefängnisse beenden. Justizminister Jean de Dieu Mucyo sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Regierung wolle traditionelle Dorfgerichte wieder einrichten, um mehr Prozesse gegen der Beteiligung am Völkermord von 1994 verdächtigte Häftlinge zu ermöglichen.

Die Wiederherstellung der sogenannten „Gacacas“ solle die Beteiligung der Bevölkerung an der Aufarbeitung des Völkermordes sicherstellen, sagte Mucyo. „Die Bevölkerung war während des Völkermordes da: Sie wird Zeuge, Richter und Partei sein.“ Es gehe nicht nur um „Volksgerichte“, sondern um „die Mobilisierung der Bevölkerung“. Der Justizminister, selber Überlebender des Völkermordes, fügte hinzu: „Es gibt auch den Aspekt der Versöhnung, eine Art nationale Psychotherapie, die dadurch ermöglicht wird, daß die Leute miteinander reden.“

In Ruanda sitzen etwa 124.000 Menschen unter dem Verdacht der Teilnahme an der Ermordung von über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, in Haft. Nur sehr langsam kommen Prozesse gegen sie in Gang. Erst 1996 verabschiedete das ruandische Parlament das dafür nötige Gesetz; die ersten Urteile fielen Anfang 1997. Im Laufe des Jahres 1998 fanden 1.200 Prozesse statt, bei denen 864 Menschen schuldig gesprochen wurden – die meisten davon zu Gefängnisstrafen. So bleiben die Gefängnisse voll. Mehrfach hat es Massenfreilassungen gegeben, die danach jedoch mit neuen Verhaftungen aufgewogen werden.

Ruanda, das etwa sieben Millionen Einwohner hat, zählt 154 Gemeinden, die verwaltungsmäßig in Sektoren und Zellen von jeweils 300 bis 400 Personen aufgeteilt sind. Von dieser untersten Verwaltungseinheit gibt es etwa 17.000; jede soll nun ihr eigenes Gacaca-Gericht bekommen.

Früher waren die Gacacas traditionelle Schiedsstellen für Kleinkriminalität und Familienstreitigkeiten. Jetzt sollen sie jeweils 20 Mitglieder haben, die von der Bevölkerung gewählt werden. In ihrer Arbeit sollen sie Unterstützung von juristischen Beratern erhalten. Für die sogenannte „erste Kategorie“ von Völkermordangeklagten – Planer, Vergewaltiger und Massenmörder, die mit der Todesstrafe rechnen müssen – werden sie nicht zuständig sein.

Die geplante Rückverlagerung der Bewältigung des ruandischen Völkermordes in eine immer noch zutiefst traumatisierte und gespaltene Gesellschaft stößt nicht überall auf Begeisterung. Josue Kayijaho, Vizepräsident des Verbandes der Völkermordüberlebenden, „Ibuka“, sagte, die Aburteilung von Völkermordangeklagten sei eine große Verantwortung, die ein hohes Niveau von Kenntnissen voraussetze. In manchen Regionen des Landes „gibt es niemanden, der dieses Kriterium erfüllt“. Dominic Johnson