Aktionismus auf dem EU-Gipfel

Die EU-Staatschefs einigen sich auf Romano Prodi als neuen Präsidenten der EU-Kommission. Verhandlungen über die Agenda 2000 schleppen sich dahin  ■ Von Daniela Weingärtner

Berlin (taz) – Sie standen auf dem roten Teppich wie zwei Pennäler vor einer wichtigen Prüfung: Kanzler und Außenminister, die Gastgeber von Berlin, im grauen Tuch, brav gescheitelt – und sichtlich nervös. Der Erfolgsdruck, unter dem Gerhard Schröder und Joschka Fischer stehen, ist enorm, die Ausgangslage denkbar schwierig – schon ohne drohendem Krieg im Kosovo.

Dabei konnten sich die aus den 15 EU-Mitgliedsstaaten angereisten Staatschefs samt ihrer Außen- und Finanzminister noch am Vormittag auf einen neuen Kandidaten für den Vorsitz der EU-Kommission einigen. Romano Prodi, ehemaliger italienischer Ministerpräsident, soll Nachfolger des in der vergangenen Woche zurückgetretenen Jacques Santer werden. Prodi solle so schnell wie möglich das Amt antreten, hieß es auf dem Gipfel. Zunächst muß er allerdings noch mit den Staats- und Regierungschefs der EU sprechen und vor allem die Zustimmung des EU- Parlaments erlangen. „Ich habe keinen Anlaß, davon auszugehen, daß das Parlament das nicht tut“, sagte Kanzler Schröder dazu. Prodi solle vom kommenden Jahr an eine volle Amtszeit von fünf Jahren antreten. Damit sind Spekulationen um eine Übergangskommission vom Tisch.

Eigentlich waren die EU- Staatschefs samt Anhang zusammengekommen, um über die Agenda 2000 zu konferieren und sie endlich abzustimmen. Doch die Kriegsgefahr im Kososvo ließ die Struktur- und Finanzreform zunächst in den Hintergrund treten. In einer gemeinsamen Erklärung räumten die Staatschefs dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević einen letzte kurze Frist ein. „Milošević kann die Katastrophe auf dem Balkan noch verhindern“, sagte der spanische Außenminister Abel Matutes. Aus britischen Regierungskreisen verlautete hingegen Skepsis.

Somit ist der erste Tag der zweitägigen Verhandlungen über die Reform der Europäischen Union mit eigentlich nicht vorgesehenen Entscheidungen dahingegangen. Dafür werden die Regierungschefs heute um so konzentrierter an der Agenda 2000 arbeiten müssen. Deren Abstimmung wird nicht eben leicht. Bevor der EU-Gipfel überhaupt begann, hatte Frankreich angekündigt, den von der deutschen Ratspräsidentschaft vorgelegten Agrarkompromiß nicht zu akzeptieren. Aus Kreisen der Kommission verlautete, es sei deutsches Ungeschick gewesen, zu früh auf die nationale Kofinanzierung der Agrarausgaben verzichtet zu haben. Aus verhandlungstaktischen Gründen hätte diese deutsche Forderung, die Paris vehement bekämpft, bis zum Berliner Gipfel auf dem Tisch bleiben müssen.

Den Einstieg aus dem Ausstieg bei den Milchquoten, den die Agrarminister bereits vereinbart hatten, stellen Chirac und Jospin nun wieder in Frage, denn geringere Quoten bedeuten Mindereinnahmen für die französischen Bauern. Auch bei den Ölsaaten und den Rindfleischpreisen wollen sie Nachbesserungen.

Es sei kein Drama, wenn in Berlin kein Agrarkompromiß erreicht werden könnte, drohte Chirac noch vor seiner Abreise aus Paris. Der Präsident des Europaparlaments, der Spanier José Maria Gil- Robles, erinnerte die Staatschefs gestern morgen noch einmal daran, daß sie dringend die Agenda zum Abschluß bringen müssen. Schließlich bleiben dem Parlament zwischen dieser Ratstagung und seiner letzten Sitzung vor der Europawahl gerade 25 Arbeitstage. Bis ein neues Parlament gewählt ist und sich in das komplizierte Regelwerk so weit eingearbeitet hat, daß es Stellung beziehen könnte, würden weitere Wochen vergehen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hätte dann ihr wichtigstes Ziel verfehlt.

Mit harten Forderungen sind auch die Briten nach Berlin gekommen. In der plüschigen Atmosphäre eines Zoopalast-Kinos übermittelte Tony Blairs Sprecher die knallharte Botschaft: Am britischen Beitragsrabatt, den Margaret Thatcher 1984 ausgehandelt hat und dessen Rechengrundlage inzwischen teilweise entfallen ist, soll nicht gerüttelt werden. Auch mit dem Rabatt bleibe Großbritannien nach Deutschland der zweitgrößte Nettozahler. Man fühle mit den Deutschen, sei aber nicht in der Lage, ihre Finanzprobleme für sie zu lösen. Gerne könne der deutsche Anteil am Britenrabatt reduziert werden – die anderen 13 Mitgliedsstaaten sollten die fehlende Summe dann eben anteilig aufbringen. Nur wenn das ganze Berechnungssystem geändert werde und sich dadurch für Großbritannien Vorteile ergäben, könnte über den Rabatt geredet werden.