Belgrad ist vom Sieg völlig überzeugt

■ In Erwartung von Luftangriffen verhängte Jugoslawien den Ausnahmezustand. Danach wurde der Bevölkerung die Gefahr bewußt

Es ist ein schöner, sonniger Tag in Belgrad. In der Fußgängerzone „Knez Mihajlova“ sieht auf den ersten Blick alles normal aus. Um die Mittagszeit sind alle Tische in den zahlreichen Cafés und Restaurants besetzt, die Straße ist voller Menschen. Als ein Propellerflugzeug dröhnend hinüberfliegt, kommt nervöse Bewegung in die Menge. Alle schauen panisch in die Luft – die Belgrader erwarten die ersten Nato-Bomben.

Erst seitdem die jugoslawische Bundesregierung in der Nacht zu Mittwoch die „unmittelbare Kriegsgefahr“ erklärte und damit die niedere Stufe des Ausnahmezustands verhängte, nimmt die Bevölkerung die Drohungen der Nato, militärische Ziele in Serbien anzugreifen, ernst. Die Menschen in der Hauptstadt befinden sich in einem angespannten Erwartungszustand. Niemand kann sich so recht vorstellen, wie das Bombardement aussehen und welche Folgen es haben würde. „Die werden sicher zuerst alle Brücken in Belgrad zerstören“, behauptet ein Tankwart zutiefst überzeugt. „Außerdem sind die überhaupt nicht treffsicher. Es ist besser, auf das Land zu flüchten.“

Für Benzin mußte man gestern in Belgrad schon Schlange stehen. Diesel ist sowieso seit Wochen Mangelware, denn die jugoslawische Armee braucht es für ihre Panzer. Die Stadtregierung ermahnte die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und keine Hamsterkäufe zu tätigen. Die Medien wurden aufgefordert, keine apokalyptischen Szenarien zu verbreiten. Verteidigungsminister Pavle Bulatović erklärte, die „unmittelbare Kriegsgefahr“ betreffe nur Angehörige von Polizei, Armee und öffentlichem Dienst, nicht jedoch die Zivilbevölkerung.

In Belgrader Kneipen ist die Kampfmoral auf hohem Niveau. „Wir haben von den Russen die besten Raketensysteme bekommen!“ sagt ein bärtiger Mann. „Denen werden wir einen schönen Empfang bereiten!“ Daß die Serben es der Nato schon zeigen würden und sich „das brüderliche Rußland“ nach einem Nato-Eingriff selber militärisch einmischen werde – davon sind nicht nur die jugoslawischen Kneipenstrategen überzeugt, sondern anscheinend auch Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević.

Regimenahe Medien trommeln für den Krieg

Der extrem-nationalistische serbische Vizepremier Vojislav Šešelj genießt die kriegerische Stimmung. „Wehe allen Deserteuren und Verrätern!“ teilte der Radikalenführer mit. „Wir werden unerbittlich mit allen abrechnen, die während der unmittelbaren Kriegsgefahr Panik und Defätismus schüren.“

Das erste Opfer war der unabhängige Rundfunksender B 92. Am Mittwoch um zwei Uhr früh, als ganz Belgrad wachlag und auf die ersten Angriffe wartete, drangen Vertreter des serbischen Informationsministeriums begleitet von mehreren Polizisten in das Studio des Senders ein, unterbrachen die Sendung und verhafteten Chefredakteur Veran Mativ zusammen mit der Redakteurin Bojana Lekić. Zur Begründung hieß es: Störung der öffentlichen Ordnung, zudem habe B 92 eine höhere Frequenz als zugelassen benutzt. Mativ wurde nach acht Stunden freigelassen. Der Sender blieb stumm.

„Dies war eine unmißverständliche Botschaft des Regimes“, sagte B-92-Direktor Sasa Mirković der taz. „Wenn die Regierung diesen weltbekannten Sender, der etliche internationale Preise für seinen Kampf für Demokratie und Pressefreiheit bekommen hat, so einfach schließen und den Chefredakteur verhaften kann, was sollen dann die kleinen unabhängigen und weniger bekannten Zeitungen und Sender erwarten?“

Derweil machen die gleichgeschalteten Medien eine höllische Propaganda. Die Pflicht eines jeden Mannes ist es, mit der Waffe in der Hand sein Vaterland zu verteidigen, wenn ein Aggressor, und diesmal ist es die Nato, angreift, heißt es in der regimenahen Tageszeitung Politika. Das verfängt vor allem bei den jungen Wehrpflichtigen auf dem Land, obwohl die Mobilmachung bereits wesentlich größere Ausmaße hat als zu Beginn des Krieges 1991.

Die serbische orthodoxe Kirche betet derweil für Frieden im Kosovo. Sie sorgt sich um die „Wiege des Serbentums“ und wegen der „fürchterlichen Drohungen“ der militärischen Weltmacht. Das Übel im Kosovo könne nicht mit einem „noch größeren und unmoralischen Übel“ besiegt werden. „Wir können nicht glauben, daß die internationale Gemeinschaft so ohnmächtig geworden ist, daß sie mit finsteren und für die menschliche Würde erniedrigenden Mitteln der großen Gewalt ein kleines Übel und eine kleine Gewalt lösen muß.“ Andrej Ivanji, Belgrad