Eine Marke mit Namen Marius

■ Eine aufstrebende Landbrauerei will ihr Bier mit Marius Müller-Westernhagen emotional erlebbar machen / Deshalb wird Ende Mai in Bremen Musik zu hören sein / Ein Vorbericht nebst Erinnerungen

Es war das Jahr, in dem Strauß verhindert werden mußte. Der Kanzlerkandidat aus Bayern sprach gerade in der Bremer Stadthalle, als die Polizei in der Innenstadt gegen die verbotene Demo aufmarschierte. Damals stand „Hertie“ noch, und das Kaufhaus war in dem ganzen Trubel plötzlich so voll wie nie zuvor. Hunderte DemonstrantInnen und Unbeteiligte brachten sich zwischen Kurzwaren und Damenunterwäsche vor einem „Run“ in Sicherheit. Der Spruch „Buback, Ponto, Schleyer, der nächste ist ein Bayer ...“ ging nur noch Idioten mit Leichtigkeit über die Lippen. Aber von martialisch Uniformierten wie Vieh durch die Straßen gehetzt zu werden, trug trotzdem nicht gerade zur Versöhnung mit dem Staat bei.

Dafür hat er, der Sänger aus Düsseldorf namens Marius Müller-Westernhagen, für elf Mark Eintritt gleich danach in der Glocke die richtigen Worte gefunden. Die Reggae-Version von „Dicke“ war zwar noch besser, aber erst mit den richtigen Worten wurden Sänger, Band und Publikum zu einer Gemeinschaft und bescherte die Musik allen im Saal ein „Orgy-Porgy“-Erlebnis. Ganz plötzlich waren allüberall nur noch dürre Heringe, und wer's nicht war, fühlte sich trotzdem so. Wie hätte danach ein Dicker aus Bayern jemals Kanzler werden können?

Zwanzig Jahre später, also jetzt, will Marius Müller-Westernhagen noch immer die richtigen Worte sagen. Zur Promotion seiner, wie er sagt, „definitiv letzten“ großen Tournee, die ihn am 29. Mai auch ins Bremer Weserstadion führt, sitzt er da auf dem Podium in den Düsseldorfer Rheinterrassen und hört erstmal den anderen zu. Uwe Albershardt zum Beispiel, dem Mann aus der Marketing-Abteilung des Tournee-Sponsors Beck und Co.

Mit 20 Millionen Mark gibt die „kleine aufstrebende Landbrauerei“, so der Ex-Beck's-Chef und heutige Bremer Wirtschaftssenator Josef Hattig, genauso viel zur Promotion der rund vierwöchigen Tour und des Bieres aus wie die Bremer Neue Metropol für die Bewerbung ihres Musicals „Jekyll & Hyde“. Dafür werden Beilagen produziert, 17.000 mal ein Funkspot und 500 mal ein Fernsehtrailer ausgestrahlt, 600.000 sogenannte Blinkies verteilt und 20 Trucks zur Tourneebegleitung auf die Reise geschickt. „Wir wollen“, sagt Albershardt in vollstem Ernst, „die Marke in einem emotional packenden Umfeld erlebbar machen.“ Darauf Marius Müller-Westernhagen: „Also das ist mir alles ein bißchen peinlich hier mit den Zahlen. Wir werden auch spielen und nicht nur Bier verkaufen.“

Für diesen Widerspruchsgeist nennen viele MusikjournalistInnen den zugleich öffentlichkeitsscheuen und nach dem Kollektiverlebnis suchenden Müller-Westernhagen noch immer freundschaftlich Marius. Und wenn die Leute von der Technik die Scheinwerfer vor der Bühne runterdimmen, damit auch Marius etwas sehen kann, grüßt er mit einem „ey, ach, wir kennen uns ja“ zurück. Der Noch-unter-50jährige ist ja auch in Düsseldorf, und da spricht er von Straßen, auf denen er „rumrannte“, und beantwortet die allen Ernstes gestellte Frage, ob er später zum Hühnerhugo geht, ganz informiert mit einer Gegenfrage: „Hat der nicht schon vor Jahren zugemacht?“

Marius Müller-Westernhagen, dessen neue Single-Auskopplungen „Jesus“ oder „Supermann“ so klingen, als wären sie schon vor einiger Zeit ausgekoppelt worden, will wieder mal zurück zu seinen Wurzeln. Schon damals, also noch fast am Anfang, wollte er nach Platten wie „Bittersüß“ oder pompös instrumentierten Songs wie „Ganz alleine krieg ich's nicht hin“ zurück zu den Wurzeln. Mit Rock'n'Roll machte er richtig Karriere, bis ihm das alles zu nachgespielt klang. Bei seiner Suche nach einer – na, ja – deutschen Popmusik konnte ihm das Publikum nicht mehr folgen. Doch dann hat Marius-Müller-Superstar seine Mischung gefunden: Soul and Rock'n'Roll unter naiven, aus simplen Sätzen bestehenden und doch rätselhaft sinnvoll-sinnlosen deutschen Texten.

Marius Müller-Westernhagen ist ein ganz und gar deutscher Superstar. „Sobald ich die Grenzen Deutschlands überschreite, erkennt mich keiner“, sagt er. In diesem Land aber rennen ihm die Leute sozusagen die Bude ein. Kaum ist ein Konzert in einem Fußballstadion angesetzt, ist es meist auch schon ausverkauft. Eine besondere Stimmung herrscht dort. Zwar singen die Leute auch bei anderen Konzerten mit, aber bei Marius singen erstens fast alle mit, und sie singen zweitens so mit, als wären es ihre eigenen Songs.

Für seine neue und letzte Stadiontour „Westernhagen 1999 – live“ kündigt der reich und berühmt gewordene Junge von nebenan zwar eine Show an, die man nicht vergessen werde – immerhin hat der Theatermann Dieter Flimm das Bühnenbild entworfen, und „das hat man in der ästhetischen Qualität noch nicht gesehen“. Aber: „Bei den großen Events sehe ich keine Entwicklung mehr.“ Alles sei zu Showbizz und Kirmes verkommen: „Was die Stones machen, hat für mich nur noch den Charakter von Wiederholung, und bei Michael Jackson entsteht doch überhaupt keine emotionale Bindung.“

Er spricht von „Ermüdungserscheinungen“ schon bei der letzten Tour. Und die waren ihm bei seinem „Affentour“-Konzert vor einem Jahrfünft in Hannover auch anzumerken. Aber dann kamen zwei Konzerte in Köln, und er erinnert sich: „Man spielt vor 70.000 Menschen, und hat das Gefühl, in einem Club aufzutreten.“ Eine spirituelle Erfahrung sei das gewesen, zumal er sagt: „Ich bin nirgendwo so ich selbst wie auf der Bühne.“

Also wird Müller-Westernhagen weiter Platten machen und gelegentlich auch wieder auftreten. Und er wird sich auch weiterhin an Kampagnen wie für den Doppelpaß beteiligen, bei der er mit Thomas Gottschalk und Boris Becker posierte. Daß er dafür Prügel einstecken mußte, nimmt er nach „16 Jahren Beinahe-Monarchie“ gelassen hin: „Auch Millionäre haben eine Meinung!“ Zum Beispiel die, daß er überhaupt nicht zufrieden mit dem Kompromiß ist. Und zum Beispiel die, daß Kultursponsoring gut ist und eine solche Tournee ohne Sponsor nicht finanzierbar wäre. „Ich hoffe, daß Beck's auch Bibliotheken sponsort“, sagt er und bedankt sich später artig beim Brauereivertreter.

Bibliotheken, Marius? Underground poetry sponsorn die, aber nicht hier, sondern in England. Christoph Köster

Das Konzert am 29. Mai im Weserstadion ist ausverkauft, für das Zusatzkonzert im Niedersachsenstadion Hannover am 23. Mai sowie für das Konzert auf der Trabrennbahn Hamburg am 19. Juni gibt es noch Karten; zu hören sein wird viel Musik aus dem Album „Radio Maria“ und eine Mischung älterer Titel. Karten: 0180/55 700