Wenigstens bis Sommer

■ Gespaltene Interessen beim Umgang mit Gegenwartskunst im Hamburger Bahnhof/Berlin. Der Effekt ist ein Hang zum Dekorativen

Der Herr ist nicht pingelig. Für Heiner Bastian war die Sigmar- Polke-Retrospektive 1997 im Hamburger Bahnhof künstlerisch ein Reinfall, und auch von der zeitgenössischen Videokunst hält er bis auf Arbeiten von Bruce Nauman nicht sehr viel. Da brauche man gar nicht zu diskutieren, das sei Ansichtssache, erklärte Bastian am Mittwoch ein wenig säuerlich. Dennoch hat sich der Kurator der Sammlung Marx dem Willen der Berliner Nationalgalerie beugen müssen: Außer den von ihm verwalteten Arbeiten aus der amerikanischen Pop-art dürfen nun bis Mitte Juli auch einige staatliche Ankäufe aus den neunziger Jahren im Hamburger Bahnhof gezeigt werden – ausgerechnet Video und Neue Medien.

In der Anfangszeit des Museums wäre an eine solche Konstellation nicht zu denken gewesen. Noch vor fünf Jahren war Wulf Herzogenrath, ein ausgewiesener Kenner und Förderer von Medienkunst, als Leiter des Hamburger Bahnhofs geschaßt worden, weil das Duo Bastian/Marx nichts mit seinen Vorlieben anfangen konnte. Herzogenrath verließ Berlin, um nicht, wie der Spiegel 1996 schrieb, den „Hilfsbremser eines Kunsthändlers“ spielen zu müssen, und ging als neuer Direktor an die Bremer Kunsthalle. Der Wechsel hatte auch für die Sammlung der Nationalgalerie Folgen: Christina Kubischs bereits 1992 mit Senatsgeld erworbene Klanginstallation „The True And The False“ wurde während des Aufbaus zur Eröffnung des Hamburger Bahnhofs wieder abmontiert, nachdem sich Bastian furchtbar über die Arbeit aufgeregt hatte. Jetzt allerdings hängen die zwölf mit fluoreszierenden Pigmenten betupften Lautsprecher in einem Seitenraum im ersten Stock des Hauses. Das kann man als späte Genugtuung von Herzogenrath werten. Wenigstens bis zum Sommer.

Bastian nennt die Neuordnung zwar eine „souveräne Symbiose“, aber es klingt doch ein bißchen beleidigt – was zum Teufel haben die aktionistischen, in sprödem Schwarzweiß gehaltenen Fotowände von Dieter Appelt neben den immerhin 22 Warhol-Bildern verloren, die in der Neuhängung die gesamte Längshalle des Hauses ausfüllen? Tatsächlich gibt es zwischen den Sammlungsschwerpunkten des Bauunternehmers Marx und den Senatsankäufen keine Bezüge, nicht einmal auf ein gemeinsames Informationsblatt konnte man sich einigen. So kommt der Flyer der Nationalgalerie mit einem giftigen Grünstich daher, während bei Marx das „überragende Ensemble“ seiner Warhol-Bilder betont wird. Immerhin ist das bald sechs Meter breite „Camouflage“-Bild von 1986 hinzugekommen, das jetzt in der Längshalle sehr dekorativ den Mittelpunkt bildet.

Auch im Umgang mit der Gegenwart bleiben die Interessen gespalten. Wo Marx mit Damien Hirst, Sam Taylor-Wood und Marc Quinn neuerdings auf young british art setzt, ist die Nationalgalerie nach wie vor den Entwicklungen der achtziger Jahre verbunden. Michael Schmidts neunteilige Fotoarbeit „Waffenruhe“ (1985–1987) ist so ein Beispiel dafür, wie sich das frühere Engagement in hauptstädtische Harmlosigkeit auflöst – die Details von Punkfrisuren und Mauerrissen gehören in eine ferne Vergangenheit aus Kreuzberger Kachelofen-Ästhetik und Berlin- Pathos. Marx hält mit einem Foto dagegen, das Frank Thiel auf der Baustelle vor dem Reichstag gemacht hat. Bunt und irgendwie menschenleer geht es jetzt zu in der Berliner Republik.

Daß man sich bei Ulrike Rosenbach für ihr „OR-Phelia“-Video von 1987 entschieden hat, sagt auch etwas über die Zögerlichkeit, mit der die Berliner Kulturverwaltung sich dem Neuen aufgeschlossen zeigt. Gegenüber den postfeministischen Körperphantasien einer Pipilotti Rist sieht Rosenbachs zerbrechliche Frauenfigur extrem unsexy aus. Auch Marcel Odenbachs über vier Monitore verteilt fließende Video-Elegie auf den Verfall des Bildungsbürgertums neigt mehr zur Melancholie als zum visuellen Pop. „As If Memories Could Deceive Me“ trägt das Dilemma bereits im Titel: Was in den achtziger Jahren als mediale Verführung entlarvt werden sollte ist heute kaum mehr als kulturkanalkompatibles Anschauungsmaterial im Fernsehalltag.

Natürlich macht auch Marx in seiner Liebe zum Populismus Fehler. Wenn eine farblich gestochen scharfe Großfotografie von Andreas Gursky zum Börsen-Irrsinn in Singapur neben Thomas Struths Museumsszenen hängt, dann wirft der Sammler Kontext und Kontemplation über einen Haufen. Gleichzeitig wirkt die Häufung von Becher-Schülern bloß wie ein benutzerfreundlich arrangierter Lehrgang in Sachen Fotografie. Umgekehrt kann man im Raum nebenan an einer Installation von John Cage aus der Sammlung der Nationalgalerie studieren, mit welcher Leichtigkeit sich – frei nach Marcel Duchamp – unscheinbare Zeitungsimages in räumliche Situationen übertragen lassen.

Ein besonders glückliches Händchen hatte die Nationalgalerie mit dem Ankauf der Arbeiten von Bernhard Leitner. Der in Wien lebende Architekt und Klangforscher beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Akustik von Räumen. Jetzt bilden seine drei Soundscape-Skulpturen eine Art blueprint zur neueren Ambient- und Lounge-Art. Aber auch Abramovic/Ulay haben Glück gehabt: Nachdem das Künstlerpaar in den achtziger Jahren Spitzwegs „Armen Poeten“ aus der Nationalgalerie nach Kreuzberg in eine türkische Wohnung verschleppt hatte, gab es lebenslang Hausverbot. Jetzt sind sie trotzdem im Hamburger Bahnhof vertreten. Auf fünf geometrisch montierten Fotos sitzen sie sich bei einer Langzeitperformance mit zwei buddhistischen Mönchen starr gegenüber. Zwischen ihnen steht ein vergoldeter runder Tisch. Man muß eben warten können. Irgendwann wird schon ein Museum vorbeikommen. Harald Fricke

Neue Werke im Hamburger Bahnhof, bis 11.Juli, Berlin