EU-Gipfel wird zum Beichtstuhl

In Einzelgesprächen sollte gestern noch die Agenda 2000 gerettet werden. Doch vom ursprünglichen Reformvorhaben, um die EU fit für die Osterweiterung zu machen, dürfte nicht viel übrigbleiben  ■ Aus Berlin Daniela Weingärtner

Auf dem EU-Sondergipfel waren die Verhandlungen über die Agenda 2000 gestern erst mal festgefahren. Die Gastgeber, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, baten die Kontrahenten daraufhin zum Einzelgespräch über den Zankapfel Agrarreform. Im sogenannten „Beichstuhlverfahren“, das heißt in bilateralen Verhandlungen, sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs zwei Modelle beraten, wie die Mehrkosten der Agrarreform von sieben Milliarden Euro doch noch gedämpft werden könnten.

Nach Stromausfall im Pressezentrum und einer Veranstaltungsorganisation, die der „Bananenrepublik Europa“ wirklich alle Ehre gemacht hatte, versuchte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye gestern morgen bei den gereizten Journalisten gut Wetter zu machen: Er habe extra die Sonne scheinen lassen, und nun sei ja wegen der Verhandlungsunterbrechung Gelegenheit „zu einem Spaziergang durch die schöne Stadt Berlin“.

In der Nacht zum Donnerstag hatten Experten Vorschläge erarbeitet, die einerseits die Positionen der EU-Partner austarieren, andererseits die Agrarausgaben auf 40,5 Milliarden Euro im Jahr einfrieren sollen. Noch während Heye den Journalisten erklärte, er könne aus verhandlungstaktischen Gründen keinerlei Andeutungen über die beiden Modelle machen, kursierte ein Papier mit den Einzelheiten im Pressezentrum.

Die erste Variante will die Einsparungen über ein Degressionsmodell erreichen: Die Ausgleichszahlungen, die 1992 eingeführt worden waren, um die Landwirte für Produktionseinschränkungen zu entschädigen, sollen stufenweise gesenkt werden. 6,8 Milliarden Euro könnten so eingespart werden. Im zweiten Modell werden Einsparungen dadurch erreicht, daß die Grundlage der Reform – mehr Direktzahlungen, geringere Stützpreise – zeitlich gestreckt wird. Die Interventionspreise für Milch würden dann nicht wie bislang geplant ab 2003, sondern erst ein Jahr später gesenkt. Bei den Ackerkulturen würden die Stützpreise statt um 20 nur um 15 Prozent gesenkt. Ersparnis bei diesem Modell: 4,1 Milliarden Euro.

Das zweite Modell ist nicht nur teurer als das erste, es weist noch weniger Elemente auf, die den Namen Reform verdienen. Das verkrustete System der Interventionspreise, das ursprünglich aufgebrochen werden sollte, um die europäische Landwirtschaft fit für den Weltmarkt zu machen und die Aufnahme neuer Mitgliedsländer aus Osteuropa bezahlbar zu machen, bliebe erhalten. Gestern fand jedoch erst einmal keiner der beiden Vorschläge eine Mehrheit unter den EU-Staaten. Finnland und Österreich kündigten Widerstand an, weil sie zu starke Einbußen bei den Einkommensbeihilfen für ihre Landwirte fürchten.

Das Motto des gestrigen Tages hatte der britische Premier Tony Blair geprägt: „Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist.“ Das heißt, die Agenda soll nur als Paket verabschiedet werden, das neben einem Agrarkompromiß auch noch die Strukturhilfen und die Beitragszahlungen der Mitgliedsländer umfaßt. Und damit sei frühstens in der Nacht zum Freitag zu rechnen, hieß es gestern.

Was am Ende herauskommt, wird mit den großen Plänen, die mit dem Begriff Agenda 2000 verbunden waren, nicht mehr viel zu tun haben. Dennoch will der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Klaus Hänsch, nicht alles verloren geben. Um die Verhandlungen mit den sechs osteuropäischen Beitrittskandidaten erfolgreich fortzusetzen, sei „Einmütigkeit unter den EU-Regierungen die wichtigste Voraussetzung“. Eine Einigung auf ein gemeinsames Agenda-Paket sei insofern schon ein Erfolg, und „es wird ein vorzeigbares Ergebnis geben“, war sich der SPD-Politiker gestern sicher.