Bildberichterstattung ohne Bilder

■ Die deutschen TV-Sender zeigen kaum Bilder, die aussagekräftig sind. Das Verteidigungsministerium hat ihnen enge Grenzen gesetzt

Bonn (taz) – Es sind stets diesselben Bilder, die in diesen Tagen aus dem makedonischen Tetovo oder dem italienischen Nato-Flughafen in Piacenza zu sehen sind: Reporter, die vor einem mit Stacheldraht bewehrten Zaun stehen. Die über Stimmungen berichten, aber keine Soldaten zeigen können. Vor die Kameras treten ausschließlich der Kommandeur der deutschen Truppen in Tetova, Brigadegeneral Helmut Harff, oder der Befehlshaber des Tornado- Einsatzgeschwaders in Piacenza, Oberst Jochen Both.

Der Zaun symbolisiert die Grenzen der Bewegungsfreiheit für die deutschen Medien. Im ersten Krieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 erscheint ihre Omnipräsenz im elektronischen Zeitalter wie kastriert – ein Medium der Bilder ohne wirkliche Bilder.

Vor Ort in Piacenza und Tetova hat die Bundeswehr ihre Presseoffiziere angewiesen, derzeit keine Bildberichterstattung über einzelne Soldaten zu gestatten. Die Soldaten sollen vor möglichen Terrorakten durch Serben geschützt, die Abgehörigen in Deutschland nicht noch weiter beunruhigt werden. Kamerateams wurden in Tetovo, wo die Soldaten in Reichweite serbischer Artillerie liegen, gebeten, Einstellungen zu wählen, die keine Einzelheiten des Geländes zeigen, hieß es gestern aus dem Verteidigungsministerium.

Fast alle großen Sender sind mit eigenen Berichterstattern vor Ort. Dort suchen sie nach Auswegen, um wenigsten mehr als Bilder ihrer eigenen Gesichter in die Heimat liefern zu können. RTL etwa ist stolz darauf, am Mittwoch um 18.55 live den Start der ersten deutschen Tornados in Piacenza gezeigt zu haben. Das war immerhin gut eine Stunde vor der Rede des Bundeskanzlers, mit dem die Angriffe offiziell bestätigt wurden.

Der Appell an die Verantwortung der Medien, das stand am Mittwoch abend im Raum, als Verteidigungsminister Scharping sich einen Seitenhieb erlaubte. Nachdem er einige Sender gesehen habe, hoffe er doch, daß vor den Spekulationen die Fakten berichtet würden. Zu diesem Zeitpunkt hatten mehrere TV-Stationen mit Berufung auf Agenturen den Abschuß einer deutschen Maschine gemeldet. Das wurde später dementiert. RTL unterbrach seine Sendung „stern-TV“, um live zur Reporterin in Piacenza zu schalten, die die rückkehrenden deutschen Tornados einzeln gezählt hatte. Bei der ersten Schaltung sprach sie von zwei Tornados – fehlten also noch fünf.

Diese Form der Zählung sei zulässig, entgegnet RTL-Nachrichtenchef Michael Wulf auf die Frage, ob dadurch nicht genau jene Sensationsberichterstattung durch die Hintertür erfolgt, die das Verteidigungsministerium vermeiden will. Das RTL-Team habe schließlich außerhalb des Areals gestanden. „Ich glaube nicht, daß die Bundeswehr damit Probleme hat.“

Helmut Brandstätter von n-tv findet den RTL-Scoop der abfliegenden Tornados „in Ordnung“. Er halte nichts davon, „päpstlicher als der Papst zu sein“. Leider, ergänzt er, „hatten wir keine Kamera dort“.

Eckart Gaddum, Chef vom Dienst bei ZDF-Aktualität, bringt das Problem der Tornado-Zählerei auf den Punkt. „In so einer Nacht geht es um Sekundenentscheidungen: Wenn du nichts hast, sagen alle: du hast gepennt. Aber wenn du was sagst, wird jeder Satz im nachhinein seziert.“ Severin Weiland