Grüner Funktionswechsel auf der Regierungsbank

Im Herbst enthielten sich viele Bündnisgrüne der Stimme, als der Bundestag eine deutsche Beteiligung an Nato-Luftschlägen gegen Jugoslawien billigte. Nun sind fast alle dafür. Unterschiede zwischen den Strömungen der Partei sind derzeit nicht zu erkennen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner redet drüber. So hatten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages das ursprünglich vorgestellt – vor der geplanten Debatte am Freitag wollten sie gar nichts zum Thema sagen. An einem Tag wie gestern erörtert das Parlament erst einmal den Strafrahmen für Graffiti? Das geht nicht, fand Christian Ströbele und drängte gegen den Widerstand von Teilen seiner Fraktion zum Rednerpult: „Ich war sehr emotional. Ich weiß gar nicht mehr genau, was ich gesagt habe“, meinte er hinterher. Die kämpferische Leidenschaft überzeugte: Der Bundestagspräsident ließ dann doch eine kurze Aussprache zu.

In anderer Hinsicht steht der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen derzeit ziemlich alleine da. Er ist einer der letzten in seiner Fraktion, der noch immer öffentlich gegen den Nato-Einsatz streitet: „Es wird mehr Flüchtlinge geben, es wird mehr Zerstörungen geben, es wird mehr Tote geben, als wenn man weiterverhandelt hätte.“ Fühlt er sich nicht allmählich ein wenig einsam? „Nicht besonders, weil ich weiß, daß es eine Reihe von Leuten in der Fraktion gibt, die ähnlich denken wie ich.“

Wenn das so ist, dann sagen es inzwischen zumindest immer weniger. Als der Bundestag im letzten Herbst eine deutsche Beteiligung an möglichen Nato-Luftschlägen gegen Jugoslawien billigte, hat Ludger Volmer daran in einer Rede deutliche Kritik geübt. Heute sieht der Staatsminister im Auswärtigen Amt zu der Militäroperation keine Alternative mehr. „Das ist kein Positionswechsel. Das ist ein Funktionswechsel. In der Opposition reicht es, wenn man klar und deutlich seine Meinung sagt. Auf der Regierungsebene stellt sich die Frage, wie man seine Grundwerte in äußerst komplizierte internationale Aushandlungsprozesse einspeist.“ Wenn man sich in die Bekennerpose werfe, verspiele man die Aussicht auf Einflußnahme. „Die Grünen sind keine Großmacht.“

Hat Volmer in den letzten Tagen je über Rücktritt nachgedacht? „Nein. Warum sollte ich?“ Er könne auf der zweiten Ebene viel bewegen, gerade im Hinblick auf den Aufbau von Instrumenten zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei. Diesem Thema mißt auch die Wehrexpertin Angelika Beer große Bedeutung bei, die sich ebenso wie Volmer im Herbst der Stimme enthalten hat. Gestern im Bundestag versicherte sie Kanzler und Verteidigungsminister die volle Unterstützung der Mehrheit ihrer Fraktion.

Angelika Beer sagt, ihre Haltung habe nichts damit zu tun, daß ihre Partei jetzt an der Regierung sei. Es gebe angesichts der humanitären Tragödie keine Handlungsalternativen. Nun hofft sie, „daß diese Zäsur dazu führt, daß man das politische Versagen in den letzten Jahren im Hinblick auf die Lage im Balkan erkennt.“ Für die Bundesregierung und für die Nato stelle sich allerdings hinsichtlich des Menschenrechtsproblems „die Glaubwürdigkeitsfrage, zum Beispiel im Blick auf die Kurdenfrage“.

Völkerrechtliche Bedenken gegen den Nato-Angriff bleiben aus Sicht von Angelika Beer bestehen. Die teilt sie mit ihrem Fraktionskollegen Winfried Nachtwei. Auch er hatte sich im Herbst der Stimme enthalten und sieht inzwischen keine Alternative zu den Luftschlägen mehr. „In der Opposition kann man sich erlauben, etwas unverbindlicher zu argumentieren. Bei der Regierungsmitverantwortung ist man gezwungen zu entscheiden. Da gibt's kein Ausweichen.“

Die dramatische Entwicklung hat dazu geführt, daß Unterschiede zwischen den Strömungen der Partei derzeit nicht mehr zu erkennen sind. Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat der möglichen deutschen Beteiligung an der Militäroperation im Herbst zugestimmt. Ratlos wirkt sie dennoch: „Mir geht es, glaube ich, so wie allen bei uns. Ich finde es wirklich bedrückend, was wir jetzt tun, und sehe nicht, was wir sonst tun könnten. Das macht die Lage auch persönlich so schwer auszuhalten, daß es keine Option gibt, die man aus vollem Herzen gutheißen kann.“

Ganz ähnlich äußert sich Claudia Roth, noch im Herbst eine entschiedene Gegnerin des Bundestagsbeschlusses: „Ich glaube, daß es jetzt keine andere Möglichkeit mehr gibt, als das zu tun, was getan worden ist.“ Dennoch habe sie „wahnsinnige Probleme“ mit der Selbstmandatierung der Nato, mit der offenen Frage, was „im zweiten Schritt“ passieren solle, und damit, „daß man von Menschenrechten redet, aber die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen sind“.

Abzuwarten bleibt nun, ob die Partei die Haltung ihrer Bundestagsfraktion mittragen wird. „Das wird sicherlich ein großes Problem“, sagt Ströbele. „Dieser Krieg, der da mit Zustimmung eines großen Teils der Fraktion geführt wird, verstößt gegen unser geltendes Programm. Kampfeinsätze haben wir immer abgelehnt.“