Bombenangriffe, solange „Milosevic dies wünscht“

■ Nicht nur in Belgrad, auch in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, wurde gstern tagsüber Fliegeralarm ausgelöst. Rußlands Präsident Jelzin übte harsche Kritik an den Luftangriffen der Nato. Die scheint aber fest entschlossen, ihre Angriffe fortzusetzen, bis Slobodan Milosevic seine Truppen im Kosovo zurückpfeift. Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark kündigte an:

Slobodan Milosevic bleibt stur. Trotz der Nato-Luftangriffe lehnte die jugoslawische Regierung gestern ein Einlenken im Kosovo- Konflikt erneut ab. Zoran Jeremic, Botschafter in Bonn, sagte, Jugoslawien habe nicht die Absicht, das Friedensabkommen von Rambouillet zu unterzeichnen.

Auf der Gegenseite forderte die Nato Milosevic erneut auf, den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nachzukommen. Die Nato sei entschlossen, ihre Angriffe fortzusetzen, bis ein Ende der Gewalt erreicht und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindert sei, sagte Generalsekretär Javier Solana. Der Nato-Oberbefehlshaber für Europa, US-General Wesley Clark, formulierte das so: Die Aktion werde „so lange dauern, wie Milosevic dies wünscht“. Demgegenüber deutete der Nationale Sicherheitsberater der USA, Sandy Berger, eine andere Variante an. Er nannte es „durchaus im Bereich der Möglichkeit“, daß die Nato nach Erreichen ihrer militärischen Ziele die Kampfhandlungen eistellen wird. Das klingt wie eine Rückzugslinie für den Fall, daß Milosevic sich auch weiterhin weigert, das Friedensabkommen zu unterzeichnen und seinen Krieg gegen die Kosovo-Albaner zu beenden.

In Belgrad, der Kosovo-Hauptstadt Pristina und anderen Orten wurde gestern Vormittag erneut Fliegeralarm ausgelöst. Berichte lokaler Medien über eine dritte Angriffswelle am Vormittag wurden aber nicht bestätigt. In zwei vorangegangenen Angriffswellen waren bis zum Morgen neben Zielen bei Belgrad auch Anlagen nahe der Kosovo-Hauptstadt Pristina und in anderen Teilen Jugoslawiens mit Bombern und Marschflugkörpern attackiert worden. Dabei waren jugoslawischen Angaben zufolge mehr als zehn Menschen – ausschließlich Zivilisten – getötet und 38 verletzt worden.

Die Angriffe galten nach US- Angaben Raketenstellungen, Radaranlagen und Fernmeldeeinrichtungen der jugoslawischen Armee. Auch albanische Einrichtungen in Pristina wurden zerstört. So wurden Cafes, Geschäfte und eine Privatklinik verwüstet.

An den Luftangriffen waren auch Soldaten der Bundeswehr beteiligt. Es war der erste Einsatz deutscher Soldaten bei einem Angriff gegen einen souveränen Staat seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Politiker in den westlichen Hauptstädten und Vertreter der Nato werteten die Angriffe als Erfolg. Clark sagte gestern auf einer Pressekonferenz in Brüssel, 40 militärische Ziele auf dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslwaien (Serbien und Montenegro) seien getroffen worden. Im Visier sei vor allem die jugoslawische Luftabwehr gewesen. Alle Flugzeuge seien zu ihren Basen zurückgekehrt. Nach unterschiedlichen Angaben westlicher Regierungen wurden zwei bis vier jugoslawische Kampfflugzeuge vom russischen Typ MiG 21 abgeschossen. Der Luftraum über Jugoslawien, Albanien und Makedonien wurde auf Anordnung der Nato gesperrt.

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping schätzte die Erfolgsquote der Angriffe gestern vor Journalisten in Bonn auf „deutlich über 80 Prozent“. Erreicht worden sei eine „Minderung der jugoslawischen Luftabwehr“, von einer „totalen Ausschaltung“ könne aber noch nicht gesprochen werden, so daß auch weiterhin noch deutliche Risiken für die eingesetzten Flugzeuge bestünden.

Der russische Präsident Boris Jelzin bezeichnete die Luftangriffe als einen schweren Fehler von US- Präsident Clinton. Dennoch werde Rußland keine „extremen Maßnahmen“ als Reaktion ergreifen. Jelzin hatte nach Beginn der ersten Angriffswelle die Zusammenarbeit mit der Nato gestoppt und den ranghöchsten russischen Vertreter in Brüssel abgezogen. Auch das chinesische Außenministerium forderte ein umgehendes Ende der Angriffe. Der Militäreinsatz ohne Mandat des Sicherheitsrats sei eine Verletzung der UNO-Charta.

In Italien droht wegen der Nato- Angriffe eine Regierungskrise. Die Kommunisten wollen der Regierung von Ministerpräsident Massimo D'Alema die Unterstützung entziehen, falls italienische Kampfflugzeuge eingesetzt werden. KP- Chef Armando Cossuta sagte gestern in Rom, er sei zwar der letzte, der eine Regierungskrise wolle. Er werde aber die beiden kommunistischen Minister aus dem Kabinett zurückziehen, „wenn Italien an diesem absurden Krieg beteiligt wird“. Eine Äußerung D'Alemas am Rande des EU-Gipfels in Berlin, Serbien habe seine Offensive im Kosovo unterbrochen, ist möglicherweise vor diesem Hintergrund zu sehen. Beate Seel