Patriotische Ermunterung durch Partisanenfilme

■ In Belgrad herrschte am Tag nach den ersten Luftschlägen der Nato der Ausnahmezustand, doch viele Bürger reagierten trotzig. Schulen, Universitäten und Geschäfte blieben geschlossen

Am Donnerstag um 5.30 Uhr brach das 60 Sekunden lange, gedehnte Sirenensignal die Stille und erlöste Belgrad: Der Luftalarm war beendet. Nach einer schlaflosen Nacht atmeten die übermüdeten Menschen auf und verließen Luftschutzbunker und Keller. Eine Frau, die sich für einen Großteil der Nacht in einen Schutzbunker geflüchtet hatte, sagte: „Ich fühle mich wie tot.“

Weiter berichtete sie, der Bunker sei überfüllt gewesen und stickig, und so hätten sie und ihre Familie ihn verlassen und den Rest der Nacht lieber in ihrem Auto in der Garage zugebracht. Ein Freund der Familie habe aus den USA angerufen und sie gewarnt, daß für Donnerstag auch tagsüber Luftangriffe geplant seien. „Ich habe wirklich Angst“, sagte sie, und: „Das ist doch der komplette Wahnsinn.“

Schon wenige Stunden später, um 9.35 Uhr, heulten die Sirenen schon wieder unheilbringend auf. „Die Flugzeuge des Nato-Aggressors nähern sich der jugoslawischen Hauptstadt. In Kürze werden neue Schläge erwartet. Bewahren Sie die Ruhe. Gehen Sie wieder in die Luftschutzbunker zurück“, gab im Belgrader Fernsehsender Studio B Avram Izrael, Leiter des „Informationszentrums für unmittelbare Gefahr“, bekannt.

Bald darauf waren im Belgrader Vorort Batajnica starke Explosionen zu hören, pechschwarze Rauchwolken stiegen auf. Der Angriff des atlantischen Verteidigungsbündnis war auf den nahe gelegenen militärischen Flughafen konzentriert.

Dann, um 14 Uhr, wieder dieser gruselige Luftalarm in Belgrad. Wieder wwartet man auf Bomben. Eltern zerren ihre Kinder in die Luftschutzbunker. In einem Haus in der Vojvode-Stepe-Straße übergibt sich ein kleines Mädchen vor Angst. „Fuck the Nato!“ schreien einige Jugendliche auf der Straße. „Die können uns mal!“

Laut Angaben der jugoslawischen Armee melden sich täglich neue Freiwillige, um „Kosovo und das ganze Land vor dem Aggressor zu verteidigen“. Doch solange keine Nato-Bodentruppen Jugoslawien angreifen, wird es keine allgemeine Mobilmachung geben – wegen der Versorgung und weil eine Konzentration von jugoslawischen Soldaten auf einer Stelle ein gutes Ziel für die Nato wäre, erklären Militärexperten.

Nach einem halben Jahrhundert wird Belgrad erstmals wieder bombardiert. In der Stadt herrscht Ausnahmezustand. Der Schul- und Universitätsunterricht ist unterbrochen. Die meisten Geschäfte, Restaurants und Kneipen sind geschlossen. An diesem sonnigen Frühlingstag wirkt die Fußgängerzone verlassen. Es gibt kein Benzin mehr im freien Verkauf. Brot und Mehl sind kaum aufzutreiben. Im Fernsehen sind lauter Partisanenfilme aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen, in denen das serbische Volk gegen die deutschen Faschisten kämpft und heldenhaft das Vaterland verteidigt.

Nach ungeprüften Informationen, daß ein deutscher „Tornado“ über dem Kosovo abgeschossen sei, ist in einem Belgrader Café der Jubel ausgebrochen. Der Film „Die Schlacht auf dem Kosovo (Amselfeld)“ läuft täglich. An patriotischer Ermunterung durch die Medien fehlt es in Serbien nicht, was völlig den Anordnungen des serbischen Informationsministeriums entspricht.

Trotz allem gibt es in Belgrad nicht die geringsten Anzeichen von Panik. Wenn das Ziel der Nato-Schläge war, das Regime des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zu schwächen, dann ist das – zumindest vorerst – komplett verfehlt worden. Selbst die verbittertsten Gegner des Regimes, Oppositionspolitiker und unabhängige Journalisten, meinen, daß jegliche Kritik fehl am Platz wäre, solange diese „Nato- Schweinerei“ andauert.

Wen immer man auf der Straße anspricht, ist bereit, das Vaterland gegen die „Nato-Kriminellen“ zu verteidigen. Der serbische Standpunkt ist einfach: Ein souveränes Land, das keinen anderen Staat bedroht hat, ist angegriffen worden. Die Nato ist der Aggressor. Den Aggressor muß man bekämpfen.

Die jugoslawische Regierung verhängte nach den ersten Schlägen der Nato den Kriegszustand. Der jugoslawische Generalstab gab bekannt, daß bis Donnerstag mittag 50 militärische und industrielle Objekte angegriffen worden seien. Zehn jugoslawische Soldaten hätten ihr Leben verloren. Leider hätte es auch zivile Opfer gegeben, die genauen Informationen darüber würden folgen.

Das Kommando der dritten Armee im Kosovo gab bekannt, daß „albanische terroristische Banden“ parallel zu den Nato-Schlägen aus der Luft Stellungen der jugoslawischen Armee und der serbischen Polizei angreifen. „Ich kann Ihnen versichern, wir werden die Terroristen bis zum letzten Mann vernichten und unser Land gegen den Aggressor verteidigen“, sagte der Kommandant für den Kosovo, General Nebojsa Pavković. Andrej Ivanji, Belgrad