Die Schamlippe in OP 1, bitte!

Penisverlängerung, Viagra, getrocknete Tigerpenisse – wenn es um die Lust von Männern geht, kennt die Phantasie keine Grenzen. Aber Designervaginas? In den USA empört ein plastischer Chirurg seine Zunft mit der „Korrektur“ von Schamlippen und Scheiden. Frauen, so scheint es, sollen sich mit Natur pur abfinden  ■ Von Lisa Sandburg

Das ist nicht Chirurgie: das sind Skulpturen – eine ganz neue Kunstform“, schwärmt der neue Star der kosmetischen Laserchirurgie, David L. Matlock. Mit seiner Praxis im noblen Beverly Hills, Kalifornien, ist er kein Schönheitschirurg, sondern ein hochangesehener Gynäkologe. Und statt Nasen zu begradigen oder Falten zu beseitigen, „verjüngt und gestaltet“ er weibliche Genitalien – für Frauen, die sich ein erfüllteres Sexleben wünschen oder aussehen wollen wie ein Klappbild im Penthouse-Magazin.

„Neulich erzählte mir eine Patientin, daß sie ihrem Mann keinen oralen Sex gestatten wolle, weil sie das Gefühl habe, ihre inneren Schamlippen seien lang und ekelhaft“, erzählt Matlock. „Sie brachte das Penthouse-Magazin mit und sagte: So will ich aussehen.“ Kein Problem. Matlock verkleinerte ihre Schamlippen mit einem Verfahren namens Labioplastik.

Eine weitere Patientin, die 33jährige Betty C.· beklagte sich, ihre Schamlippen seien asymmetrisch, mit gezackten Enden, was ihr beim Geschlechtsverkehr Schmerzen bereite und sie in Verlegenheit bringe, wenn sie nackt sei. Und Marie D.s Schamlippen waren so lang, daß sie sich blutig scheuerte, wenn sie Hosen trug.

Marie, wie viele andere Patientinnen von Matlock, hatte eine traumatische Geburt, die eine Reihe körperlicher Probleme nach sich gezogen hatte. „Ich mußte dreißig- bis vierzigmal am Tag auf die Toilette gehen, und meine Vagina fühlte sich ausgeleiert an“, sagt sie. „Dr. Matlock sagte mir, er könne all meine Probleme beheben – mit einem zusätzlichen Bonus.“

Dieser „Bonus“ ist Dr. Matlocks Spezialität: „Vaginale Laserverjüngung zur Steigerung des sexuellen Wohlbefindens“, die neue Laserversion einer Operation, die seit Jahren bei Frauen mit Problemen wie Harninkontinenz angewendet wurde. Aber im Unterschied zur alten Chirurgie dient diese ausschließlich der Steigerung des weiblichen Lustempfindens. „Es ist, als würde die Vagina geliftet“, so Dr. Matlock. Er beschreibt, wie er den „lappigen“ Vaginakanal mit einem Laser aufschneidet, den Muskel zusammenzieht und ihn vernäht, wobei das überschüssige Gewebe entfernt wird.

Zu Marie sagte der Arzt, obwohl ihr Geschlechtsleben in Ordnung war, sie leide unter vaginaler Erschlaffung und er werde das äußere Drittel ihres vaginalen Kanals straffen. Das ist laut Matlock die „orgasmische Plattform“.

Der Mediziner Paul Schnur, Präsident der amerikanischen Gesellschaft der plastischen und Wiederherstellungs-Chirurgen, hält Matlocks Verfahren für einen Reklametrick. „Das ist ein völlig alltägliches gynäkologisches Verfahren, das Dr. Matlock zur Sensation aufbläst“, schimpft Schnur. „Sicher, die Vagina wird gefestigt, aber ich weiß nicht, ob es das Lustempfinden bei Frauen steigert – vielleicht bei Männern.“ Ganz und gar nicht, hält Matlock dagegen. Vor etwa zehn Jahren kam eine Patientin zu ihm, deren Vagina aus medizinischen Gründen gestrafft werden mußte. Nach der Operation sei sie zurückgekommen und habe begeistert gesagt: „Herr Doktor! Wissen Sie, was passiert ist? Sex macht mir jetzt einen Riesenspaß! Und ihr Mann sagte: Es ist, als hätte ich die alte Ehefrau, aber eine neue Geliebte!“

Andere Patientinnen hörten durch Mundpropaganda davon und verlangten die Operation, obwohl es keinen medizinischen Grund dafür gab. Matlock war einverstanden, diese Frauen zu operieren. So ging es mehrere Jahre, bis der Arzt im letzten Jahr beschloß, eine Anzeige in die Los Angeles Weekly zu setzen. Und die lautete: „Der erste medizinische Fortschritt des neuen Jahrtausends ist da! Vaginale Laserverjüngung. Sie werden staunen, wie gut Sex sein kann!“ Die Medien stiegen ein, und inzwischen strömen Frauen aus allen Teilen der USA, aus Europa und sogar aus Asien in seine Praxis.

Matlock greift jetzt monatlich 25 bis 35 Mal mit dem Laser ein und schätzt, daß er insgesamt über tausend Frauen operiert hat. Doch Matlock sieht sich nicht allein als Geschäftsmann. Er will mit seiner Arbeit von seinen Kollegen auch ernstgenommen werden. In einem noch nicht veröffentlichten Aufsatz für eine medizinische Fachzeitschrift behauptet er, die große Mehrheit seiner Patientinnen hätten von einem besseren Sexualleben berichtet. Und über neunzig Prozent der fünfhundert Geburtshelfer und Gynäkologen, die er befragte, stimmten darin überein, daß diese Art Chirurgie das sexuelle Vergnügen der Frauen erhöhen könne.

Es überrascht nicht, daß genitale Schönheitschirurgie ethische Fragen aufwirft. „Worüber machen sich diese Frauen eigentlich Sorgen? Wie sie aussehen, wenn sie nackt auf der Bühne tanzen?“, meint Norman Schulman, der Chefarzt für plastische und Wiederherstellungs-Chirurgie am Lenox Hill Hospital in New York.

Aber trotz all der Promis ist nicht jede, die sich aus kosmetischen Gründen unters Messer begibt, eine Berühmtheit oder Tänzerin. „Plastische Chirurgie im allgemeinen war niemals wirklich nur für die Reichen und Berühmten da“, sagt Elizabeth Haiken, die Autorin von „Venusneid“, einer Geschichte der kosmetischen Chirurgie.

Auch bei Matlock verteilt sich die Klientel „über das gesamte soziale Spektrum“. Und das, obwohl alle den Arzt aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, denn die Krankenversicherung kommt für Schönheitschirurgie nicht auf. Und die Preise sind gesalzen: über 4.500 Dollar für eine Vaginalstraffung oder zwischen 3.500 und 7.000 Dollar für das Paket einer „Designer-Laser-Vaginoplastik“. Dazu gehört dann etwa die Injektion von Fett in die großen Schamlippen (Labia majora), um sie jugendlicher wirken zu lassen, oder die Fettabsaugung am Schamhügel. Trotz dieser Summen finden viele Durchschnittsfrauen einen Weg, die Operationen zu bezahlen.

Cathy M. aus der Bronx in New York gehört zu diesen Patientinnen. Die 29jährige Teilzeitbeschäftigte bei einem Partyservice und alleinerziehende Mutter war auf diese Operation so versessen, daß sie ihre Eizellen an eine andere Frau verkaufte. Damit bezahlte sie die 7.600 Dollar für den Flug nach Los Angeles, die Operation und eine private Krankenschwester, die sie in ihrem Hotelzimmer betreute.

Cathy hatte sich bei der Geburt ihrer Tochter vor fünf Jahren schwere Beckenverletzungen und Narbengewebe zugezogen. Sie litt physisch wie emotional darunter und erlebte dann einen weiteren Schock: Ihr Ehemann verließ sie, kurz nachdem sie wieder miteinander schliefen. „Er beschwerte sich, meine Vagina sei so ausgeleiert, daß er überhaupt nichts mehr empfinde“, sagt sie.

Viele Frauen wissen zu berichten, daß die meisten Ärzte ihren Klagen über das Aussehen ihrer Genitalien oder das fehlende sexuelle Vergnügen gar nicht zuhören. Sie seien nur an ihrer Fruchtbarkeit interessiert. „Als ich meinem Arzt erzählte, ich wolle meine Vagina straffen lassen, damit ich einen Mann befriedigen und eventuell auch ein Kind bekommen könne, sagte er, er würde mich jederzeit künstlich befruchten, wenn das notwendig werde“, berichtet Cathy. Maries Ärztin weigerte sich, ihre Vagina zu straffen, weil sie argwöhnte, es würde sich auf ihre Empfänglichkeit auswirken. Daß Marie keine Kinder mehr wollte, interessierte nicht.

Manche Ärzte wollen den Eingriff wegen möglicher Folgeprobleme nicht vornehmen. George Rubino, Abteilungsleiter und Gynäkologe am Victory Memorial Hospital in New York, sagt, eine Frau könne „durch Chirurgie eine quasi jungfräuliche Vagina erhalten“. Er warnt davor, daß nach dem Eingriff manchmal wieder gelockert werden müßte. Mediziner Schulman lehnt die Labiaplastik aus kosmetischen Gründen grundsätzlich ab: „Ich halte sie für falsch – Punkt!“

Einer seiner Kollegen wurde von einer Patientin verklagt, nachdem er ihre Schamlippen verkleinert hatte. „Sie behauptet, sie könne keinen Orgasmus mehr bekommen, und man einigte sich auf einen sehr hohen Schadensersatz“, sagt er. Schulman erlaubt keinem Arzt in seinem Stab eine ästhetisch motivierte Labiaplastik. Er glaubt, es gebe „in unserer Kultur absolut keinen funktionalen Grund für diesen Eingriff“.

Kosmetische Chirurgie ist nicht immer funktional. Aber sollten Gesichtschirurgen und Gynäkologen darüber befinden, ob eine Frau ihre Vagina chirurgisch behandeln läßt? Schulman meint ja. „Wenn eine Frau größere Brüste haben will, um in Kleidern besser auszusehen, dann wäre dies ein Beispiel für einen unmittelbaren Gewinn, aber wenn eine Frau einen chirurgischen Eingriff an sich vornehmen läßt, weil sie fürchtet, ihr Ehemann werde sie sonst verlassen, dann ist das ein sekundäres Motiv und sollte ihr versagt bleiben“, sagt er.

Die Medizinethikerin Marjorie Clay vom Medical Center der University of Massachusetts ist da anderer Meinung: „Wenn jemand behauptet, es handele sich um unnötige Verfahren, dann könnte man das auch von einer Menge anderer kosmetischer Eingriffe sagen, die inzwischen durchaus Routine sind“, meint sie.

Andere Kritiker sind wegen der sozialen Folgen dieses Trends beunruhigt. „Der Gedanke, daß es inzwischen Normen dafür gibt, wie Schamlippen auszusehen haben, ist völlig absurd“, sagt Buchautorin Haiken. „Kosmetische Chirurgie war immer eine Tür in die Gesellschaft – zum Beispiel für Einwanderer, die ,amerikanischer' aussehen wollten – aber hier geht es um einen Teil des Körpers, der von der Außenwelt nicht einmal gesehen wird, und das erscheint mir noch erschreckender“, sagt sie.

Bizarr oder nicht: Es scheint sich keineswegs um eine vorübergehende Mode zu handeln. Vermutlich wird sich der Bedarf an Genitialchirurgie sogar noch verstärken, wenn man nach dem Wirbel in den Medien und den Hochglanzwebsites von Matlock urteilen will. „Ich glaube, die Zeit für diese Art Eingriff ist gekommen“, sagt er. „Das Clinton-Lewinsky-Fiasko hat es mit sich gebracht, daß man in Amerika nun über Sex reden kann.“ Gynäkologe Rubino glaubt zudem, es könne auch deshalb zu „einer größeren Nachfrage nach diesem Eingriff kommen, weil Gynäkologen die Zahl der Kaiserschnitte heutzutage drastisch einschränken.“

Für Matlock geht es lediglich darum, der Kundin das zu geben, was sie möchte. Und außerdem: Wenn es ein Männerproblem wäre, so glaubt er, dann hätte sich die Forschung schon seit langem damit befaßt.

Das mag zwar richtig sein, aber die Mehrheit der Ärzte ist noch immer nicht bereit, den betroffenen Frauen ihre Operationssäle zu öffnen. Die Angst vor einem Schadensersatzprozeß wird offenbar höher eingeschätzt als der mögliche Gewinn. Den Kritikern hält Matlock entgegen: „Ich höre Frauen zu und gebe ihnen, was sie wünschen. Und wenn ihre Gynäkologen nein sagen, dann sage ich ja.“

Lisa Sandburg, 35, lebt in Princeton, New Jersey, USA. Sie arbeitet als freie Journalistin für die kanadische National Post und skandinavische Tageszeitungen

Aus dem Amerikanischen von Meinolf Büning

Die Namen der betroffenen Frauen wurden geändert