Herr Noah wäre begeistert

Mit einer Arche Noah des Geschmacks wollen die langsamen Genießer von Slowfood alte Haustierrassen, seltene Obst- und Gemüsesorten und vergessene Produkte vor dem Aussterben retten. Die Passagierliste hat durchgesehen  ■ Manfred Kriener

Die Arche ist fertig, die Sintflut hat bereits begonnen.“ Mit diesem Satz stellte Slowfoodpräsident Carlo Petrini im Sommer 1997 ein internationales Projekt zur Bergung kulinarischer Schätze vor. Slowfood, die Bewegung der Genießer und Bewahrer, will auf einer „Arche Noah des Geschmacks“ ungewöhnliche Gäste für eine ungewöhnliche Rettungsaktion aufnehmen.

Aus Deutschland werden im Herbst die ersten Reisenden zusteigen. Auf der vorläufigen Passagierliste stehen: der rote Weinbergpfirsich von der Terrassenmosel, der Finkenwerder Erbprinz, das Bentheimer Schaf, der Holunderblütenlikör, der Buchweizenbrand, die Moorschnucke. „Alle fürchten, das Beste an der Welt zu verlieren, und an jeden richtet sich die Aufforderung, kein einziges wertvolles Stück zu vergessen“, mahnt Petrini eindringlich die Seinen.

Die Passagiere der Arche sind Tiere, Pflanzen – Produkte, die, in die Nische zurückgedrängt, vom Aussterben bedroht sind. Sie stehen für regionale Traditionen. Sie sind, wie Marita Odia, Mitglied der deutschen Archekommission, sagt, „Ausdruck von Identität und Vielfalt, ein Stück Kultur, genau wie Sprache, Musik, Religion und Architektur“.

Slowfood will die selten gewordenen Passagiere vor der Verschiffung katalogisieren, probieren, beschreiben. Wenn die Papiere stimmen, kann eine Unternehmung beginnen, von der niemand weiß, wie lange sie dauern wird. Ganz sicher länger als einst die biblische Rundfahrt. Allerdings ist die Sintflut heutzutage auch weit verheerender als noch zu Noahs Zeiten. Damals kam die Taube schon am vierzigsten Tag mit einem Olivenzweig im Schnabel von ihrem Rundflug zurück. Land war in Sicht.

Heute können Rettungsaktionen schon mal einige Jahre in Anspruch nehmen. Und die Sintflut hat viele Gesichter. Man stirbt nicht mehr am Regen, sondern an der EU-Verordnung, an der Flurbereinigung, am globalen Markt, aber auch an Überfischung, Jagd, Züchtung, an Monokulturen und vor allem an der Gleichmacherei der Nahrungsmittelindustrie, die die Zahl der Rassen und Sorten radikal ausgedünnt hat.

Nicht nur ungezählte Apfel- und Kartoffelsorten sind verschwunden, auch viele robuste und alteingesessene Haustierrassen, die den Menschen über viele Generationen begleitet haben. Die Hühner heißen heute nicht mehr Barnevelder, Rhodeländer oder Sussex, sondern C4-Warran Isa Brown mit eingebautem Turbo für garantierte dreihundert Eier im Jahr.

Äpfel aus Chile und vom Gardasee verdrängen heimische Apfelsorten wie den Herbstprinzen. Schaffleisch aus Neuseeland liegt zu konkurrenzlos billigen Preisen in den Supermarktregalen und läßt der Zwillbrocker Moorschnucke keine Chance. Die Slowfoodaktivisten wollen – deutschlandauf, deutschlandab – die gefährdeten Produkte auf einer roten Liste zunächst erfassen.

Ihre Kriterien: Archepassagiere sind selten oder vom Aussterben bedroht; sie sind identitätsbildend für bestimmte Regionen, häufig ist in ihrem Namen schon die Herkunft enthalten; sie sind erwerbbar, auch wenn es sie nur noch in kleinen Mengen gibt; und sie stehen für eine nachhaltige Umweltnutzung.

Ihr Schiff soll kein Museum sein, erklärt die Archekommission. Sie will deshalb auch nicht zurücksegeln „in die gute alte Zeit, die es vermutlich nie gab“. Die Kämpfer für das gute Essen wollen die Archeprodukte, ihre Hersteller und Vertriebswege bekanntmachen und ihren Absatz ankurbeln, damit irgendwann, so die Hoffnung von Kommissionsmitglied Wolfgang Schwöppe, Passagier für Passagier langsam wieder von Bord gehen kann.

Zunächst bekommen alle Mitreisenden zur Identifizierung einen Fahrschein in Gestalt einer Schnecke. Das Symbol der langsamen Genießer als Gütesiegel soll die Archeprodukte für die Verbraucher kenntlich machen.

Die wichtigste Arbeit sieht Noahschipperin Marita Odia in der Imagepolitur für die Passagiere. Alteingesessene regionale Produkte hätten hierzulande eine eher bescheidene Fangemeinde, sagt sie. In Italien und Frankreich seien die deutschen Urlauber auf den Wochenmärkten von den regionalen Besonderheiten entzückt. Wieder zu Hause, würden sie in den Supermarkt rennnen und Konfektionsware kaufen. Odia beobachtet einen „Bruch mit der eigenen Geschichte und Kultur“.

Damit die Esser überhaupt wissen, was ihnen verlorengeht, wird Slowfood auf dem Festival in Lübeck (siehe Bericht unten) Ende April einige dieser Passagiere vorstellen und die Besucher zur Verkostung bitten. Ein Diepholzer Schäfer, der „Vater der Moorschnucke“, wird über das Leben der Moorschafe berichten, während die Besucher das kräftige Fleisch probieren. Hubertus Vallendar schenkt seinen Herbstprinzenbrand aus. Es gibt den Buchweizenbrand der Tartaren und Sarazenen zu kosten und die rotfleischigen Früchte des Weinbergpfirsichs. Angesetzt nach uralter Rezeptur, wird Likör aus westfälischen Holunderblüten ausgeschenkt. Nie war eine Rettungstat köstlicher.

Slowfoodpräsident Petrini hat vermutlich recht: „Die Sintflut wird ausschließlich von der Niedertracht der Menschen verursacht. Die Arche wird gebaut, um die Erzeugnisse unserer Erinnerung aufzunehmen und sie dadurch neu zu entdecken. Und die Rettung wird ganz einfach ein angenehmes Dasein sein.“

PS: Die taz wird auf dieser Seite (“Sättigungsbeilage“ im taz.mag) immer wieder ein paar Seemeilen auf der Arche mitschippern, den einen oder anderen Passagier vorstellen und an Zeiten erinnern, als Äpfel noch nicht nach Sägemehl und Kartoffeln nicht nach Briefmarken schmeckten.