Leben ohne Auspuffgase

Neue Wohnform in Hamburg: In der Saarlandstraße wird der Grundstein zur ersten autofreien Siedlung Deutschlands gelegt  ■ Von Gernot Knödler

Christine von Bargen fährt Fahrrad. Außerdem besitzt sie noch einen anderen fahrbaren Untersatz: einen Kinderwagen. Die junge Frau im blauen Anorak gehört zu den ersten Menschen in Deutschland, die bald in einer autofreien Siedlung wohnen werden. Ihre Sprößlinge auf dem Arm, schaut sie in eine Baugrube nicht weit vom U-Bahnhof Saarlandstraße: Der erste Keller ist gemauert, und auch der Gemeinschaftsraum für ihr Wohnprojekt deutet sich im Grundriß an.

Ein wenig verspätet ist gestern der Grundstein zu der viel befehdeten Siedlung gelegt worden. Um so genüßlicher versenkte Karsten Wagner, der Vorsitzende des Vereins Autofreies Wohnen, einen geifernden Zeitungskommentar in der Dokumenten-Kapsel. Mehr als sechs Jahre hat es gedauert, das autofreie Wohnprojekt Saarlandstraße auf den Weg zu bringen. Nur das massive Interesse von inzwischen rund 2100 Menschen, die gerne ohne Auto wohnen würden, machten das Vorhaben möglich.

„Als ich 1993 in der Bürgerschaft erstmals mit dem Projekt vertraut wurde, hätte ich mir nicht träumen lassen, daß das mal zustandekommt“, sagt Willfried Maier. Der grüne Stadtentwicklungssenator wollte die Grundsteinlegung als Botschaft verstanden wissen, „die an alle geht“. Denn eine richtige, dichte Stadt nach europäischem Muster habe im Auto ihren ärgsten Gegner.

In der künftigen Siedlung am Barmbeker Stichkanal, Ecke Osterbekkanal, wird dem Auto kaum eine Chance eingeräumt: Wer dort einzieht, wird zu den 40 Prozent der Hamburger Haushalte gehören, die kein eigenes Auto besitzen. Er hätte auch enorme Parkplatzsorgen: Pro Wohnung sollen nur 0,15 Stellplätze gebaut werden, das gilt hierzulande als „autofrei“.

Mobil werden die AnwohnerInnen trotzdem sein, denn wie Vereinschef Wagner ausführte, sei das Gelände mit 17 Buslinien, zwei U-Bahnen und einer S-Bahn im zumutbaren 600-Meter-Umkreis „ideal“ für das Pilotprojekt geeignet. Gebaut werden Miet-, Eigentums- und Genossenschaftswohnungen, von denen die ersten im kommenden Jahr belegt werden sollen. Die meisten davon sind schon vergeben; lediglich bei der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, deren Wohnungen ab Sommer 2000 fertiggestellt werden, haben Mieter noch eine Chance.

Karsten Wagner sucht noch Leute, die die entlang der Saarlandstraße geplanten Gewerbebauten für eine Kombination aus Einzelhandel, Wohnen und Arbeiten nutzen wollen (Tel.: 270 980 540). In Heimfeld und Dehnhaide plant der Verein weitere Wohnprojekte. Bei entsprechendem Interesse könnten auch diese autofrei werden.