Ausländeramt ignoriert Gerichtsentscheid

■ Trotz eines Urteils des Verwaltungsgerichts entläßt die Ausländerbehörde einen Flüchtling nicht aus der Haft. „Unfaßbar“ findet das der Richter. Grüne: „Behörde bewegt sich in der Grauzone zur Freiheitsberaubung im Amt“

Weiterhin Knast trotz eines anderslautenden Gerichtsbeschlusses: Ein Rom aus Bosnien muß weiter im Abschiebegefängnis Grünau sitzen, obwohl das Verwaltungsgericht am Mittwoch verfügt hat, ihn sofort zu entlassen. Der Grund: Die dem Innensenator unterstellte Ausländerbehörde erkennt den Beschluß nicht an und hat dagegen Rechtsmittel eingelegt. Für den Vorsitzenden Richter Percy MacLean ist das unfaßbar: „Ich habe es noch nie erlebt, daß eine Verwaltung Gerichtsbeschlüsse mißachtet.“

Die Ausländerbehörde, so MacLean, entlasse den Mann nicht, weil nach ihrer Auffassung ein Amtsrichter und nicht das Verwaltungsgericht für eine Haftentlassung zuständig sei. Die Sprecherin der Innenverwaltung, Isabelle Kalbitzer, bestätigte, daß die Ausländerbehörde Beschwerde eingelegt habe und jetzt auf einen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts (OVG) warte. Nähere Angaben aber machte sie gestern nicht.

MacLean sieht die Rechtslage anders: „Das Verwaltungsgericht ist wegen der begrenzten Prüfungskompetenz des Haftrichters sehr wohl zuständig für die ausländerrechtliche Seite der Haftentlassung. Das ist auch die nahezu einhellige Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur.“

Das Verwaltungsgericht hatte verfügt, den Vater von fünf Kindern, dessen Duldung abgelaufen war, aus Grünau zu entlassen, weil eine Abschiebung von Roma nach Bosnien derzeit nicht möglich sei. Das Verwaltungsgericht bezog sich in seiner Begründung auf eine Aussage des Beauftragten der Bundesregierung für die Flüchtlingsrückkehr, Hans Koschnik. Dieser hatte Anfang März gesagt, daß die Volksgruppe der Roma weiter internationalen Schutzes bedürfe. Die Roma hätten im Falle der Rückführung die geringsten Integrationsmöglichkeiten.

MacLean: „Bevor wir über die Abschiebung des Rom endgültig entscheiden, wollten wir von Hans Koschnick detaillierte Einzelheiten bekommen.“ Deswegen entschied sich das Verwaltungsgericht für eine vorläufige Entlassung. Inzwischen hat Koschnik auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts reagiert und noch einmal bestätigt, daß die Unterbringung insbesondere von Roma in Bosnien sehr problematisch sei. Auf seine Anregung will das Gericht nun weitere Informationen bei der deutschen Botschaft in Sarajevo einholen.

Der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Norbert Schellberg, hat gestern das Verhalten der Ausländerbehörde scharf kritisiert. „Die Behörde bewegt sich, vorsichtig gesagt, in der Grauzone zum strafrechtlichen Bereich.“ Es könne sich um Freiheitsberaubung im Amt handeln. Die Behörde habe sich an richterliche Urteile zu halten. Schellberg: „Schließlich leben wir in einem Land mit Gewaltenteilung.“

Tatsächlich sieht es so aus, als ob dem Rom noch ein längerer Aufenthalt im Abschiebeknast Grünau bevorstehe. Denn bereits im November gab es einen ganz ähnlichen Fall, in dem sich das Verwaltungsgericht ebenfalls für eine Haftentlassung entschied. Damals wurde der Flüchtling zwar entlassen, die Ausländerbehörde aber legte Rechtsmittel ein. Das OVG hat in dieser Sache noch nicht entschieden. Bei dem aktuellen Fall könnte es genauso lange dauern – nur mit dem Unterschied, daß der Betroffene weiterhin im Abschiebeknast sitzt. nau/sam