Streetball statt Rumhängen

In den Rollbergen, einer Neubausiedlung in Berlin-Neukölln, wurden zwei Jahre lang neue Wege der Kriminalitätsprävention erprobt. Das Ergebnis ist wenig befriedigend  ■ Von Sabine am Orde

Fischgeruch zieht durch den kleinen Raum. Hinter einemTresen steht Klaus Kahnke und brät Seelachsfilets aus der Tiefkühltruhe. „Wenn wir so lange aufhaben, machen wir auch schon mal Mittagessen“, sagt Kahnke. Es ist Dienstag morgen, kurz nach elf. Seit acht Uhr werkeln Kahnke und Jacqueline Bortfeldt, die beide arbeitslos sind, in der „Waschküche“. Seit einem Jahr bieten sie viermal in der Woche ein Frühstück für die MieterInnen des Neubausiedlung an.

Ihr Zuhause, das Rollbergviertel, ist eine Neubausiedlung im nördlichen Neukölln, einem der Problembezirke der Stadt. Eingezwängt zwischen drei Hauptverkehrsadern, stehen hier Betonburgen für 5.500 Menschen, riesige Blocks mit endlosen Fluren und bunten Fensterrähmen, dazwischen Freiflächen für Spielplätze und Bänke. Kommunikativ und offen sollte das in den sechziger Jahren einmal sein, doch die Realität sieht anders aus. Die Mieter klagen über Lärm und Dreck, Anpöbeleien und Drohungen, vollgeschissene Treppenhäuser und abgerissene Briefkästen. Wer kann, zieht weg, wer nicht kann, spricht zumindest davon.

Doch seit zwei Jahren versucht das Viertel die Abwärtsspirale aufzuhalten. Mit Hilfe eines Modellprojekts mit dem sperrigen Titel „Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention“ soll hier Nachbarschaft neu entstehen. Die BewohnerInnen sollen sich wieder mit ihrem Kiez identifizieren und Verantwortung übernehmen. So soll Kriminalität schon im Vorfeld verhindert werden. Doch Ende des Monats läuft das Projekt aus.

Bis dahin residieren in einem

Erdgeschoß, ein paar Häuser von der Waschküche entfernt, Magnus Relligmann und seine Kollegin, zwei SozialarbeiterInnen, die das Projekt koordinieren. Sie sind angetreten, um Mieter- und Jugendarbeit zu intensivieren und zu vernetzen, neue Kontakte in der Bevölkerung herzustellen und Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Mit den Jugendlichen ging das schnell. Mit Streetball-Turnieren und einem Jugendtreff, zu dem die Waschküche abends wird, habe man schon im ersten Sommer Kids erreicht, die vorher in Hauseingängen und Fluren rumhingen, sagt Relligmann. „Aber bei den Mietern hat es ein Jahr gedauert, bis sich etwas getan hat, und dafür war das Mieterfrühstück enorm wichtig.“

Auch im Mieterbeirat der Wohnungsbaugesellschaft sind inzwischen gut zehn MieterInnen aktiv. Gemeinsam mit zehn Fachleuten, meist SozialarbeiterInnen, die in der Siedlung tätig sind, wollen sie das Kiezbüro nach Ablauf des Projekts übernehmen. Finanziert werden soll es dann vom sogenannten Quartiersmanager, der seit Ende des Jahres im Auftrag des Bausenators im Rollbergviertel aktiv ist. Die Überschneidung der beiden Projekte im Kiez sei rein zufällig, heißt es in der bislang zuständigen Jugendverwaltung. „Das hört sich alles wenig an“, sagt Relligmann, „ist aber für eine solche Siedlung viel.“ Gemeinwesenarbeit brauche eben Zeit.

„Positiv ist“, sagt auch Peter Boltz von der Wohnungsbaugesellschaft, an dessen Büro das Schild „soziale Aufgaben“ hängt, „daß es gelungen ist, einige Jugendliche und einige Mieter zu integrieren“. Doch richtige Gewaltprävention sei das noch nicht. Boltz' Kritik geht in Richtung des Neuköllner Rathauses, das nur ein paar Blocks entfernt vom Rollbergviertel steht. Hier sollten, als zweites Standbein des Modellprojekts, unter der Leitung des Bezirksbürgermeisters regelmäßig alle Kiez-Institutionen an einem Runden Tisch zusammensitzen: PolitikerInnen und Jugendamt, Polizei und Kirche, die Türkische Gemeinde und die Wohnungsbaugesellschaft. Sie sollten Rückendeckung geben für die Aktivitäten im Kiez. Boltz: „Aber dieses Gremium war ein totaler Flop.“ Boltz' Einschätzung teilen fast alle Beteiligten. Die Runde sei zu groß, zu wenig engagiert und nicht risikofreudig genug gewesen, heißt es.

Doch die fehlende Rückendekkung aus dem Rathaus war nicht das einzige Problem, mit dem das Projekt zu kämpfen hatte: Die Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Land, die beide an der Finanzierung, beteiligt sind, klappte nicht; die wissenschaftliche Begleitung – mit Bundesmitteln aus einem drittem Topf finanziert – startete sogar erst mit einjähriger Verspätung.

Auch vor Ort war die Zusammenarbeit nicht leicht. Gabriele Heinemann, die seit mehr als 15 Jahren im Mädchenladen Madonna im Rollbergviertel arbeitet, hat sich mit dem Modellprojekt überworfen: Die SozialarbeiterInnen hätten sich auf gewaltbereite Jungs fixiert, kritisiert sie, und diese dadurch noch aufgewertet. „Das kriegen wieder die Mädchen ab“, sagt Heinemann, „und unsere Arbeit wird noch schwieriger.“ Das Modellprojekt habe sein Versprechen nicht eingelöst, geschlechtsspezifische Arbeit zu leisten. „Häusliche Gewalt, die hier ein massives Problem ist, war einfach kein Thema.“

Jacqueline Bortfeldt und Klaus Kahnke haben wenig Verständnis für die Querelen. Beide sind sicher, daß sich in den vergangenen zwei Jahren vieles getan hat, und daß es weitergehen muß in ihrem Kiez. Da stimmen auch die drei Jungs auf dem Sofa zu. „Klar sind wir jetzt öfter hier als in den Hauseingängen“, sagt Ali, der 17 ist und fast jeden Tag in die Waschküche kommt. „Und deshalb gibt es auch weniger Ärger.“ Das bestätigt auch die Polizei. Sie hat einen Rückgang der Straßenkriminalität verzeichnet, die Wohnungbaugesellschaft weniger Vandalismus. „Der Aufzug ist nicht mehr sechs von sieben Tagen, sondern nur noch zweimal im Monat kaputt“, sagt Kahnke und lacht. Dann macht er sich an den Abwasch.