„Das ist für uns ein Stück Gerechtigkeit“

■ Die chilenische Sozialistin Isabel Allende begrüßt das Pinochet-Urteil der britischen Lordrichter

Isabel Allende ist Tochter des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, der 1973 von Pinochet gestürzt wurde. Sie sitzt für die Sozialisten im chilenischen Parlament.

taz: Sowohl Pinochet-Anhänger wie Gegner feiern den Spruch der Lords in London. Wer hat ihn falsch verstanden?

Isabel Allende: Erst mal hat die Entscheidung klargemacht, daß Diktatoren nicht immun sind, wenn es um Folter oder Beihilfe dazu geht. Für uns bedeutet es ein Stück Gerechtigkeit, daß Pinochet für die nach 1988 begangenen Verbrechen an Spanien ausgewiesen werden kann. Der Grund, warum seine Anhänger zufrieden sind, ist, daß die Zahl der ihm angelasteten Delikte reduziert wurde.

Soll Pinochet in Spanien vor Gericht kommen oder in Chile?

Das hängt jetzt vom britischen Innenminister Jack Straw ab. Ich hoffe sehr, daß er entscheidet, Pinochet an Spanien auszuliefern, und daß dieser dann auch tatsächlich ausgeliefert wird. Natürlich würde ich es vorziehen, wenn Pinochet in Chile vor Gericht gestellt würde. Die Bedingungen hierfür sind in Chile aber nicht gegeben: Es gibt das Amnestiegesetz, das ihn schützt, und als Senator auf Lebenszeit ist er auch immun.

Es sieht heuchlerisch aus, daß ausgerechnet in Großbritannien jetzt über das Schicksal Pinochets entschieden wird. Schließlich hat Großbritannien während des Falklandkrieges gegen Argentinien sehr gut mit Pinochets Regierung zusammengearbeitet.

Die Briten vollstrecken nur den internationalen Haftbefehl, der in Spanien ausgestellt wurde. All das wäre nicht geschehen, wenn es in Chile eine Möglichkeit gäbe, gegen Pinochet juristisch vorzugehen.

Hat der Fall Pinochet die chilenische Gesellschaft verändert?

Ein Stück weit schon. Auf einmal spricht man von den begangenen Verbrechen. Es ist klargeworden, daß die Verbrechen Teil einer Strategie, eine systematische Politik waren und keine vereinzelten Exzesse. Mittlerweile glauben 75 Prozent der Chilenen, daß Pinochet Verbrechen begangen hat. Die Leute verlieren die Angst vor ihm. Der nächste Schritt ist, daß die Leute auf die Straße gehen und Gerechtigkeit fordern.

Warum hält sich Chiles Regierung so bedeckt?

Die Regierung ist in einer schwierigen Lage. Sie versucht die Immunität des Staates zu schützen, nicht die eines ehemaligen Staatschefs. Aber sie hat seit der Festnahme fünf Monate verstreichen lassen, ohne im Rechtssystem klare Zeichen zu setzen. Sie hat immer nur Angst vor den Militärs. Das hat zur Folge, daß die Demokratie in Chile schwach ist.

In den letzten Tagen drohten Militärs, daß sie eine Entscheidung gegen Pinochet nicht akzeptieren würden.

Die Äußerungen von Luftwaffenchef Fernando Rojas Vender, die jetzige Situation sei mit der von 1973 zu vergleichen, sind unverantwortlich. Die Regierung muß die Militärs zwingen, im Rahmen der Verfassung zu bleiben.

Die Militärs werfen Ihnen persönliche Rachegelüste vor.

Das ist die typische Argumentation der Rechten. Ich will einzig und allein Gerechtigkeit. Interview: Ingo Malcher, Santiago