Europa als kleinste Gemeinsamkeit

■ Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten haben sich auf dem Gipfel in Berlin über die Agenda 2000 geeinigt. Herausgekommen ist ein Kompromiß, der keinem Land schadet und der EU wenig nützt. Die Briten behalten ihren Rabatt, die Deutschen bleiben Nettozahler, und heikle Punkte wurden verschoben. Was bleibt, ist ein Zeichen an die osteuropäischen Staaten

Das berühmte Berlinale-Kino am Zoo zeigt derzeit die Mediensatire „Late Show“. Es scheint, daß sich die Regierungschefs der 15 EU-Staaten auf dem Gipfel in Berlin davon inspirieren ließen. Auch sie lieferten eine späte – und ziemlich schwache – Show. Als Kanzler Schröder um 6.30 Uhr am Freitag morgen im größten Kinosaal vor die Presse trat, verkaufte er zunächst noch einmal die Erfolge vom Vortag, bevor er mit den weniger beeindruckenden Ergebnissen der langen Nachtsitzung zur Agenda 2000 herausrückte.

30 Stunden hatten die Fünfzehn stur und zäh um ihren Anteil am Euro-Kuchen gefeilscht und dabei wieder gezeigt, daß ihnen nationale Eigeninteressen wichtiger sind als eine Vision von Europa. Als der Minimalkonsens dann auf dem Tisch lag, versuchte Gerhard Schröder den Eindruck zu verwischen, den Gipfelteilnehmern sei die Stützpreispolitik bei Ölsaaten dringlicher gewesen als die Krise im Kosovo: „Natürlich ist dieser Gipfel überschattet durch die Vor- gänge im Kosovo“, beteuerte er. Es gelang ihm aber doch, sogar der Krise einen positiven Aspekt abzugewinnen: „Europa ist auf dem richtigen Weg – außen- und sicherheitspolitisch einheitlicher als je zuvor.“

Bei den apathischen Journalisten, die eine Nacht lang auf ein Ergebnis bei den Finanzverhandlungen für den Zeitraum 2000 bis 2006 gewartet hatten, verfing der Kanzler-Charme diesmal nicht. Sie wollten Zahlen und Fakten und bekamen statt dessen nur allgemeine Formeln: „Die betroffenen Bauern werden für das Paket demonstrieren und nicht dagegen.“ Auch vor der Welthandelsorganisation WTO werde die neue Agrarregelung Bestand haben.

Wesentlich zurückhaltender ist die Wertung von Außenminister Joschka Fischer. Der Kompromiß sei eine hervorragende Grundlage, auf der die Erweiterung der EU in Angriff genommen werden könne. Im Erweiterungsprozeß müßten aber weitere Reformen folgen.

Wie Jacques Santer, zurückgetretener Präsident der EU-Kommission, in seiner neuen Rolle als Abgeordneter der Europäischen Volkspartei nach der Wahl die Umsetzung der neuen Agenda 2000 kommentieren wird, darf man mit Spannung erwarten. Schließlich geht das Reformpaket Agenda 2000 auf seine Initiative zurück, seine Kommission hatte sie ausgearbeitet, um die Europäische Union zu vertiefen und erweitern zu können. Jaquesn Santer gratulierte Gerhard Schröder zu seinem Verhandlungserfolg, zeigte sich aber vom Agrarkompromiß enttäuscht: „Eine weniger ambitionierte Reform, als ich gewünscht hätte.“

Tatsächlich haben sich die Verhandlungsteilnehmer beim Agraretat auf den kleinsten gemeinsa- men Nenner geeinigt. Heikle Punkte wie die Reduzierung der Stützpreise für Milch und die Neuregelung der Milchquoten wurden einfach um mehrere Jahre verschoben und können wohl erst in der nächsten Finanzierungsperiode angepackt werden. Dadurch können die Ausgaben im EU- Agrarhaushalt wie geplant bei wenig mehr als 40,5 Milliarden Euro pro Jahr stabilisiert werden. Dieses Ziel erreicht zu haben, kann die deutsche Präsidentschaft als kleinen Erfolg verbuchen.

Auch in der Nettozahler-Diskussion hat es Fortschritte für die Länder gegeben, die erheblich mehr in den EU- Topf einzahlen, als sie herausbekommen, also Holland, Schweden, Österreich und Deutschland. In zwei Stufen soll die Bemessungsgrundlage für die EU-Beiträge weitgehend von Mehrwertsteuer auf Bruttosozialprodukt umgestellt werden. Das bedeutet, daß die Beiträge sich am Ende enger an der tatsächlichen Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes orientieren werden. Bis dieser Effekt in Mark und Pfennig ausgerechnet ist, wer- den die Expertenköpfe noch lange rauchen. Am Freitag nachmittag lag im deutschen Finanzministerium noch nicht einmal die englische Version des Kompromißpapiers vor, die als Rechengrundlage dienen könnte.

Bei den Strukturfonds wird vor allem an der Regionalförderung gespart. Die Kohäsionsfonds, die den ärmeren Ländern wie Spanien, Portugal und Irland zugute kommen, wurden kaum angetastet. Einige Länder hatten stark darauf gedrängt, diese Förderung zu kürzen, da erfahrungsgemäß prestigeträchtige Großprojekte damit finanziert werden, die eher der Imagepflege des jeweiligen Landes als den Regionen dienen. Der Versuch, Privilegien nicht anzutasten und gleichzeitig zu sparen, zieht sich durch den ganzen Kompromiß. Unter der Überschrift „Besondere Situationen“ werden auf eineinhalb Seiten Sonderförderungen aufgelistet. Nach dem Gießkannenprinzip erhält jeder ein bißchen und keiner richtig – das erklärte Ziel des Berliner Gipfels, die EU-Förderung zu vereinfachen und zu bündeln, wurde damit verfehlt.

Die Regierungschefs schieben der EU-Kommission neue Prüfungsaufgaben und neue Gelder zu. Sie verlangen von der Kommission, das Geld sinnvoll einzusetzen und die Verwendung zu kontrollieren. Die nächste Havarie in Brüssel ist damit schon programmiert. Daniela Weingärtner