Kaltblütiger Mord und Vertreibung im Kosovo

■ Augenzeugen berichten von einem Massaker. Keine Kontakte mehr in die Heimat

„Sie kamen in der Nacht“, sagt Beque Cufaj, Korrespondent der kosovo-albanischen Tageszeitung koha ditore, in Bonn. „Sie haben den Wachmann getötet und die Räume mit Handgranaten verwüstet.“ Das war am Mittwoch abend. Am Donnerstag schon ist der Kontakt zu seinen Kollegen abgebrochen. Denn die Telefone in das Kosovo sind gekappt. Er weiß jetzt nichts mehr über ihr Schicksal.

Indes sind laut Augenzeugenberichten gestern im Südwesten des Kosovo 20 Lehrer von jugoslawischen Soldaten umgebracht worden. Wie das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) mitteilte, gaben die Augenzeugen übereinstimmend an, das Massaker habe sich im Dorf Goden zugetragen. Für die Vorfälle gab es keine Bestätigung von unabhängiger Seite.

Nun ist das eingetreten, was viele schon befürchtet hatten. Jetzt wird nicht nur die kosovo-albanische Landbevölkerung aus ihren Häusern vertrieben, jetzt wird Jagd auf die Intellektuellen gemacht, auf die Journalisten und auf die Vertreter der Parteien. Es erinnert an das Vorgehen der serbischen „Sicherheitskräfte“ in Banja Luka 1992, als zuerst die Vertreter der Intelligenzija und der nichtserbischen Parteien verhaftet wurden. Viele kamen damals in den Konzentrationslagern Manjaca, Keraterm und Omarska um. Eine Kommunikation ist nicht mehr möglich. Beque Cufaj berichtet noch von dem Schicksal des Universitätsprofessors Latif Berisha, der in Kosovska Mitrovica ermordet worden ist. Schon vor Tagen hätten sich viele Gefährdete überlegt, die Wohnung zu wechseln, unterzutauchen. Doch wo gäbe es jetzt noch einen sicheren Platz? Wie die Zeitung koha ditore sei auch die Druckerei von Kosova Sot von Serben zerstört worden.

In den makedonischen Städten Tetovo und Skopje sind in den letzten Wochen viele Frauen und Kinder aus den Mittelstandsfamilien der kosovo-albanischen Städte eingetroffen. In einem Hotel ist eine der bekanntesten Sängerinnen des Kosovo untergekommen. „Sie haben uns viel Geld abgenommen“, sagt ihre Mutter. Fünf Stunden lang hätten sie an der Grenze gewartet und Todesängste ausgestanden. Ihren Mann konnte sie zu der Fahrt im Wagen nicht mitnehmen, denn der wäre verhaftet worden. Sie sei froh, daß wenigstens ihre Töchter in Sicherheit seien.

Über die Männer und Söhne wissen viele dieser Frauen nichts. Die meisten sind bei Verwandten oder Freunden untergekommen. Sie haben aber noch Glück gehabt, daß sie vor dem Angriff der Nato geflohen sind. Jetzt ist dies nicht mehr möglich. Nach wie vor gibt es keine Nachricht von jenen 200 Frauen und Kindern, die am Mittwoch im Dorf Kotline nahe der makedonischen Grenze von serbischen Soldaten eingeschlossen waren. Über ein Handy konnte ein Verwandter einer der Frauen noch Kontakt mit den Eingeschlossenen halten. Dann verstummte das Handy. Seither weiß der verzweifelte Mann nichts mehr über deren Schicksal. Auch die an der Grenze zu diesem Gebiet stationierten Nato-Truppen wissen über die Frauen und Kinder nichts.

In der im Westen Kosovos liegenden Stadt Djakova sind nach Berichten von Gewährsleuten zwei Straßen, in denen Albaner wohnen, abgebrannt worden. Täglich patrouillierten dort nicht nur die Sonderpolizei, sondern auch zu Übergriffen bereite serbische Zivilisten in der Stadt. Die Menschen haben aus Angst ihre Wohnungen nicht verlassen. Angesichts der „Säuberungen“ der Grenzregion zu Albanien schon im letzten Sommer befänden sich Zehntausende von Flüchtlingen in der Stadt.

Rupert Neudeck, Chef der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, die noch bis zuletzt versuchte, Hilfslieferungen in die bedrängten Regionen zu bringen, erklärte in einem Interview, die Zehntausenden von Menschen, die aus der Region Drenica nach Glogovac geflohen seien, hätten nichts mehr zu essen. „Wir erleben eine humanitäre Katastrophe größten Ausmaßes“, sagte Neudeck. Neben der Auslandspresse mußten nun auch die Cap-Anamur-Mitarbeiter das Kosovo verlassen.

Es gibt also keine unabhängigen Zeugen mehr für das, was jetzt im Kosovo geschieht. Die kosovo-albanische Befreiungsarmee UÇK ist nicht stark genug, den serbischen Kampfverbänden Paroli zu bieten. Nur durch massive Waffenlieferungen könnte die UÇK die Bevölkerung schützen helfen, sagte UÇK-Führer Hashim Thaqi.

Beque Cufaj muß weitermachen. Die Auslandsstruktur seiner Zeitung koha ditore ist noch intakt, er wird mit Kollegen im Ausland weitermachen. Die durch ihre präzisen Berichte bekannte Nachrichtenagentur „arta“, die aus der Zeitung hervorgegangen war und mittels Internet weltweit große Beachtung fand, ist ebenfalls zerstört. „Wir werden die Zeitung in Basel produzieren, bis“, so hofft Beque Cufaj, „die Redaktion ihre Aufgabe wieder übernehmen kann.“ Erich Rathfelder, Tetova