Glückliche Hybridhühner

■ Der Demeterbauer Lütjen aus dem Teufelsmoor bei Worpswede ist Herr über 220 Hühner und um Ostern sehr gefragt als quasi Produzent alternativer Bio-Ostereier

Soeben ruft der Bioladen in Tarmstedt an, 80 Eier möchte er geliefert bekommen. Bauer Lütjen notiert. Jawoll, ins Eiergeschäft kommt Bewegung. Wie immer vor Ostern. Bauer Lütjen weiß jetzt schon, daß es auch dieses Jahr wieder nicht reichen wird. Er wird wieder zukaufen müssen von biologisch wirtschaftenden Kollegen, die über größere Eireserven verfügen als er, und die Kunden werden wieder betteln: „Aber bitte eigene! Die schmecken am besten.“ Man kann ja viel tricksen (und es ist ja gar nicht so, als würden Biobauern nicht tricksen) – doch man kann ein Huhn nicht dazu bewegen, wegen des nahenden Osterfestes mehr als ein Ei am Tag zu legen.

Bauer Lütjens Biohof im Teufelsmoor ist, wie es sich für einen Hof auf Grundlage der Lehren Rudolf Steiners gehört, ein Organismus. Ein Organismus hat Organe. Ein reiner Geflügelhof hätte nur ein Organ, das wäre nicht gesund. Lütjens Hof hat die allgemeine Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe in den letzten dreißig Jahren nicht mitgemacht und ist kaum anders strukturiert, als es der Hof vor 50 Jahren war. Schweine, Milchkühe, Hühner, auf dem Acker das Futter für die Tiere, Kartoffeln und die guten Moormöhren. Wenn man auf die Segnungen der BASF verzichtet, muß man als Moorbauer bescheiden sein. Wer nicht viel Stickstoff und Mineralien einbringt, kann auch nicht viel herausholen. Wichtiger Geschäftszweig wurde allerdings die Direktvermarktung mit eigenem Hofladen.

In den 50ern hörte Friedel Lütjen von Rudolf Steiner, und was die meisten für Spinnerei hielten, sprach ihn an. 1964 übernahm er den elterlichen Betrieb und „stellte um“. Drei, vier Jahre dauerte die „Entgiftung“ des Bodens, die Umstellung auf „zyklische“ Produktionsmethoden. Lütjen nahm Steiner ernst. Als er hörte, daß Grund und Boden eigentlich gar keine Ware sein können und somit weder handelbar noch vererbbar, begann er, die Besitzverhältnisse neu zu ordnen. Heute gehören weder Grund und Boden noch lebendes und totes Inventar, also kein Trecker und keine Henne mehr ihm oder seiner Frau, und sie werden auch nicht den Kindern gehören – Besitzerin ist eine „Lütjen-Stiftung“. Das Vermögen verwaltet treuhänderisch ein eingetragener Verein, der „Hofgemeinschaft Verlüßmoor e.V.“, in dem auch sympathisierende Bremer Mitglieder sind.

Doch reden wir von den Hühnern. Bauer Lütjen sitzt im Büro des Hofladens und könnte sich die Hühnerhaltung eigentlich auch viel schöner vorstellen. Selbst er, sagt er, sei zum Kompromiß gezwungen, müsse „widernatürlich“ Eier produzieren. Früher hatte man verschiedene Rassen, weiße, braune, schwarze Hühner, die Hennen gluckten, die Küken pickten und die Hähne paßten auf. Das wäre heute selbst Bauer Lütjen zu organisch, denn es wäre zu teuer. Das gute alte Rassehuhn ist leider ein mieser Futterverwerter. Das Ei einer biodynamisch ernährten rebhuhnfarbenen Italienerin würde eine Mark kosten – das Doppelte von dem, was Lütjen für die Eier seiner Nullachtfünfzehn Hybridhühner bekommt. Diese Vögel sind züchterisch so programmiert, daß sie eine Saison lang prima legen. Dann kommen sie in den Topf. „Glucken tun die auch nicht mehr,“ sagt der Bauer. Etwaige Nachkommen würden übrigens zu überhaupt nichts mehr taugen; also braucht man auch keine Hähne mehr.

Ein Huhn, wenn man es läßt, legt im Sommer Eier. Im Winter ist Eierpause. Kommt der Frühling, kitzelt die Sonne am Schnabel und findet das Huhn die ersten grünen Spitzen draußen, denkt es ganz gemütlich wieder über eine neue Produktionsphase nach. Ein unakzeptables Verhalten für alle, die mit Eiern Geld verdienen wollen. Heute läßt auch Bauer Lütjen im Winter im Hühnerstall das Licht so lange brennen und füttert soviel Grünes, daß das Huhn denkt, es herrsche immerwährender Sommer. Und siehe: es legt und legt und legt. 200 Eier im Jahr, locker. Auch und gerade zu Ostern. Trotzdem gehören Lütjens Hühner zu den definitionsgemäß „glücklichen“: Sie haben Auslauf, immer was zu scharren, Gebüsch, um sich vor Greifvögeln zu schützen und jeden Tag 20 Kilo Biomöhren. Na bitte.

Doch eine Frage muß noch gestellt werden: Sind Eier, und seien sie noch so biodynamisch entstanden, eigentlich gesund? „Nun,“ sagt Bauer Lütjen und macht eine lange Pause, um die weise Antwort zu geben: „Wer halb soviel Eier ißt und dafür doppelt so gute, der tut etwas für seine Gesundheit.“ Er selbst, der noch die Zeiten kennt, da man für zwei Eier pro Stunde im Moor arbeitete, hält es wie eh und je: ein Frühstücksei pro Woche. Am Sonntag. BuS