„Schult heiß“ klingt wie „Sieg heil“

Statt offener Nazi-Symbole bestimmen codierte Rituale der Rechtsextremen das Bild in den Fankurven bundesdeutscher Fußballstadien. Daran kann auch das Engagement von Hertha BSC Berlin nur wenig ändern  ■ Von Barbara Junge

Schultheiß ist eine bodenständige Berliner Brauerei. Schultheiß hat keinen schlechten Ruf. Ein bißchen muffig vielleicht, vielleicht auch ein bißchen prollig. So wie das Publikum bei Hertha BSC.

Samstag abend in Berlin, nach einem nur mit Mühe gewonnenen Spiel gegen 1860 München. Ein wichtiges Spiel – die Löwen aus München stehen einen Platz näher an den begehrten Uefa-Cup-Plätzen –, aber kein schönes. Das Stadion im feinen Westen der Stadt hat sich bereits geleert. Die 46.000 ZuschauerInnen strömen im Nieselregen zu ihren Autos und in die U-Bahn. Oder sie sammeln sich am S-Bahnhof Olympiastadion.

Der S-Bahn-Zug in Richtung Westkreuz steht abfahrbereit. Die Abteile sind brechend voll. Bei den Fans herrscht Siegerstimmung. Eine Truppe Halbstarker hat sich in einem der Abteile breitgemacht. Blau-weiße Fahnen flattern aus den Fenstern. Ein akkurat gescheitelter Jüngling in blauer Bomberjacke lehnt sich aus der Tür. „Schult heiß!“ brüllt er den Ordnern auf dem Bahnsteig entgegen. Sekunden später, kurz bevor die Türen schließen, drängten Grünuniformierte in das überfüllte Zugabteil. Hertha-Fans sind berüchtigt für Randale auf der Heimfahrt.

16 Fußballspieler und 500 Ord- ner, das ist die Aufstellung von Hertha BSC für das Spiel gegen 1860 München. Vor dem Anpfiff eine letzte Einsatzbesprechung der Leiter der Ordnungskräfte. Horst Brückmann nimmt die Einschätzung seines Vorgesetzten für den Spieltag entgegen. Brückmann hat einen der schwierigsten Jobs im Stadion. Der schlanke mittelgroße Mann – alles andere als ein angsteinflößender Türsteher – leitet die Einsatzkräfte im Bereich „Osttor“. Im Klartext: die Fankurve. Die hat Hertha BSC keinen guten Ruf eingebracht. Noch vor wenigen Monaten wurde der Schiedsrichter von dort aus als „Jude“ beschimpft, lange Zeit erschall ein „Uh, Uh, Uh“, wenn ein dunkelhäutiger Spieler einer anderen Mannschaft auf den Rasen lief. In den 90er Jahren erklang mehr als einmal ein entschlossenes „Sieg Heil“ aus deutschen Männerkehlen. „Wir bauen eine U-Bahn von St.Pauli bis nach Auschwitz“ war eine der unrühmlichsten Parolen.

Das hat sich geändert. Der Verein hat nach öffentlichem Druck durchgegriffen, Ordner wie Brückmann sorgen dafür, daß offene Rechtsextremisten keine Sonne sehen: „Wer hier NS-verherrlichende Symbole trägt oder Parolen brüllt, den greifen wir uns.“ Aber, berichtet Brückmann, die Situation im Olympiastadion ist inzwischen ungleich komplizierter geworden: „Wenn einer ,Schultheiß‘ ruft, wird's schon schwieriger. Das klingt bei entsprechender Betonung wie ,Sieg Heil‘, wir wissen, es soll auch genau das heißen. Aber wir können ja nicht in den Block reingehen, nur weil einer ,Schultheiß‘ brüllt.“

Das Spiel hat begonnen. Die Fankurve und Block P sind prall gefüllt. Kein Platz mehr frei auf den Holzsitzen, auf denen man ohnehin nur steht. Ganz hinten, ohne Blick aufs Spielfeld, die Polizei, davor die Ordner. In fröhlichem Blau-Weiß leuchten die Blöcke vor der grauen Kulisse des Stadions. Nur einige Reihen fallen auf, in denen eine Atmosphäre wie auf einem Skinheadkonzert herrscht. Es stinkt nach Bier. Viele schlechte Kurzhaarschnitte zieren das Bild, strenge junge Gesichter, unter ihnen einige Frauen. Hakenkreuze? Fehlanzeige. Bomberjacken? Einige. Und auch die im Stadion verbotenen schwarzen Springerstiefel mit Stahlkappen trampeln auf dem einen oder anderen Sitz. Vereinzelt auch „Herthafrösche“, das Emblem der rechtsextremen Hertha-Fans aus den 70er Jahren.

Rechte erobern sich die Stadien zurück

Inzwischen blinkt ein mageres 1:1 auf der Stadionanzeige. Noch knappe 20 Minuten zu spielen. Die Löwen spielen heute einfach den besseren Fußball. „Sollen die Münchner doch noch ein Tor schießen, hamse verdient“, befindet einer der gemütlicheren Fans in den Hertha-Farben. Doch nicht überall im Block herrscht Gelassenheit. In den unteren Reihen, wo ein bulliger Skinhead thront, macht sich Gereiztheit breit. Die Blicke werden aggressiver, das Gegröle lauter. Gegen 17 Uhr bahnt sich ein Zug Ordner den Weg die Treppe hinunter. Kurze Besprechung, noch mehr Ordner folgen. Am Rande jeder Reihe bleibt einer stehen. Es ist ein Warnzeichen.

Die Ordner wissen, mit wem sie es zu tun haben: Fred-Perry-Hemden sind hier in. Die schwarzen mit dem dünnen weißen und roten Streifen am Kragen zählen, die Farben der Reichkriegsflagge. Hier und da ziert auch ein winzig kleiner Sticker in denselben Farben den Ärmel einer Bomberjacke, größere dieser Sorte würden sofort mit Stadionverbot geahndet. Auch die britische Marke Londsdale ist, wie auch sonst unter Neonazis, in diesen Reihen sehr beliebt. Die Szene hat reagiert. Nicht mehr nur wo Nazi draufsteht, ist auch Nazi drin.

Der Rechtsradikalismus in den Fußballstadien der Bundesliga, der zweiten Liga und der Regionalligen ist wieder deutlich auf dem Vormarsch. Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesarbeitsgemeinschaft der deutschen Fanprojekte (BAG). Während Hertha BSC seit einem halben Jahr verstärkt gegen rechte Fans vorgeht und mit berechtigtem Stolz auf die neuerrungene Ruhe verweist, hat sich ein ganz neuer Prozeß in Gang gesetzt. „In den letzten beiden Jahren mußten wir beobachten, daß der Rechtsextremismus eine völlig neue Qualität erreicht hat“, berichtet BAG-Sprecher Joachim Runau. Nicht nur in Berlin – traditionell mit einem größeren Anteil Rechter unter den Fans bestraft –, sondern auch in Düsseldorf oder auch Hamburg hat man alle Mühe mit diesem Trend.

Organisierte rechte Strukturen können zum Glück in den Stadien keinen Fuß fassen. Zu lose sind die Fanstrukturen. Doch den Trend stellen die 28 in der BAG organisierten Fanprojekte überall fest. Der Rückgang rechter Symbolik in den Rängen stellt keine Entwarnung dar: Oberflächlich und falsch sei der Eindruck, daß damit auch der Rechtsradikalismus im Stadion zurückgegangen sei, befinden die Fanbetreuer. Dieser Eindruck erkläre sich aus dem veränderten Auftreten der vor allem jugendlichen Fans. Statt nur Parolen nachzubrüllen, hätte sich bei Fans die rechte Einstellung im Kopf festgesetzt. Eine stillere, codiertere Art der Rechtsextremismus.

Selbst Fußballclubs mit traditi- onsgemäß eher linkem Fanmilieu wie Fortuna Düsseldorf oder St.Pauli müßten sich inzwischen mit dem Trend nach rechts aus- einandersetzen, berichtet Ralf Busch, Leiter des Berliner Fan- Projektes. Auch dort mischen sich Rechte unters Publikum und versuchen, Fans für ihre Parolen zu gewinnen. Erfolgversprechend ist im Fußballstadion die Masse der Zuschauer. Im Olympiastadion rechnet Busch zwar nur mit einem harten Kern von etwa 300 rechtsextremen Hertha-Fans. Doch ob die Rechten zum Zuge kommen, hängt nach Buschs Einschätzung auch vom Tabellenstand ab: „Das sind 20.000 Fans in der Fankurve, da kann schnell was entstehen. Derzeit liegt Hertha gut. Aber auf einmal liegt Hertha doch wieder hinten – und dann stimmt der ganze Block ein.“ Zu guter Letzt profitieren die rechten Fans von der Öffentlichkeit. Kein Transparent bei einem Eishockey- oder einem Basketballspiel erringt die gleiche Aufmerksamkeit.

Das will Andreas Kramell verhindern. Der 35jährige ist Leiter des Sicherheitsdienstes. Schon sein Vater hatte diesen Job bei der guten alten Hertha und sein Bruder ist heute der Sicherheitschef für besondere Vorkommnisse. „Heute sieht es ruhig aus“, kann Kramell beruhigen. Einer wollte mit Handschellen ins Stadion, die mußte er persönlich beim Staatsanwalt abgeben, der wie bei jedem Heimspiel sein Büro vor Ort aufgeschlagen hat. Dann haben die Ordner auch noch denjenigen aus dem Münchner Fanblock gezogen, der nach dem 1:1-Ausgleich eine Rauchbombe gezündete hatte. Keine besonderen Vorkommnisse.

Bestimmte Codes kennen die Ordnungskräfte nicht

Aus einem wackligen Holz-schreibtisch holt Andreas Kramell eine Liste mit verbotenen Symbolen und Parolen vom Deutschen Fußballbund hervor, damit seine Leute wissen, was erlaubt und was verboten ist. Die Odalsrune, das Hakenkreuz, das Keltenkreuz, das Abzeichen der NSDAP, die Reichskriegsflagge. Und wenn ein Ordner mal nicht sicher ist, dann funkt er die Herrschaften im „Alten Postraum“ an. In der Liste finden sich auch Parolen wie „Deutschland erwache“ (die Parole der SA), „Unsere Ehre heißt Treue“ (die SS-Losung), „Sieg Heil“ und das Horst-Wessel-Lied.

Die 88 allerdings kennen Kra- mell und Fankurvenchef Brück- mann nicht. „Mir persönlich sagt das gar nichts“, muß Brückmann passen. Auch der Blick zum Chef hilft da nicht weiter. Ist ihnen auch noch nicht aufgefallen. Kein Nazi, der etwas auf sich hält, trägt heute noch ein Hakenkreuz. Angesagt ist die 88 im Eichenkranz. 88 wie zwei mal der achte Buchstabe im Alphabet, 88 wie „Heil Hitler“.

Hertha ist unter Druck geraten. Das Image war schon lange rechts. Nach den Entwicklungen der 90er Jahre und dem Zugewinn an neuen Fans aus dem Osten der Stadt, darunter nicht wenige rechte Mitläufer, forderte die Öffentlichkeit eine klare Ansage durch den Verein. Und seit die NPD im vergangenen Jahr vor den Stadiontoren Flugblätter mit „NPD für Hertha“ verteilte, hat sich Hertha ins Zeug gelegt, sich vom rechten Anhang zu distanzieren. In der Hausordnung dient nach dem Vorbild von Schalke 04 und dem SC Freiburg ein „Antirassismusparagraph“ dazu, rechten Sprücheklopfern ein längerfristiges Stadionverbot zu erteilen. Eine Satzungsänderung des Vereins ist in Arbeit. Mit Beginn der Rückrunde hat Hertha eine neue Initiative gestartet: Versteigert werden Trikots aller gegnerischen Mannschaften mit Originalunterschriften. Der Erlös geht an ausländische Vereine wie die afrikanische ökumenische Kirche oder den arabischen Frauenverein. Und der umjubelte Stürmer Michael Preetz posierte zusammen mit seinem dunkelhäutigen Teamkollegen Alphonse Tschami für einen im Olympiastadion ausgestrahlten Spot „Hertha BSC gegen Rechtsradikalismus“.

Die Ordner setzen tatkräftig um, was der Verein vorgegeben hat. Taschenkontrolle an den Einlaßtoren, Körperkontrollen am Blockeinlaß. Doch das Hausrecht reicht nicht über die Stadiontore hinaus. Auf dem Weg von der U- Bahn zum Stadion finden die Fans, was das Neonazi-Herz begehrt: neben Hertha-Schals und Wimpeln zieren Aufkleber wie „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ die aufgebauten Stände. Oder die Reichskriegsflagge.

November 1998. Lokalderby im Olympiastadion. Tennis Borus-sia Berlin gegen Hertha BSC. Der Zweitligist gegen den Erstligisten, der bürgerliche Charlottenburger Verein gegen den Verein der Massen. Die Stimmung aggressiv, die Atmosphäre eher TeBe-gemäß multikulti denn Hertha-like. Die Ordnungskräfte von Tennis Borrussia waren sichtlich überfordert in dem Riesenstadion. „Jude“ hieß da einmal mehr der Schiedsrichter in der Fankurve. „Kanacken“, „schwule Säue“ und „Asylanten“ mußten sich die TeBe-Spieler beschimpfen lassen. Nach dem mit 1:4 haushoch verlorenen Spiel ließen Hertha-Fans auf dem Heimweg Polizei und Verein noch einmal wissen, wer für Hertha auch gejubelt hatte: Nach Handgreiflichkeiten gegen TeBe-Fans und „Zigeuner-Pack“-Chören formierte sich ein Trupp von etwa 50 jungen Fans hinter dem Südtor. „Hier regiert der nationale Widerstand“, skandierten sie den Schlachtruf der Neonazis der späten 90er Jahre.

Das Spiel gegen München hat Hertha mit 2:1 nur knapp gewonnen. Doch man ist dem Uefa-Cup wieder ein Stück nähergerückt. Vom Osttor zieht eine Gruppe junger Hertha-Fans singend und mit Bierbüchsen in der Hand durch den Nieselregen. Noch etwa 300 Meter bis zum S-Bahnhof. Plötzlich schießen drei Männer mit Knopf im Ohr aus Richtung Südtor um die Ecke. Ratlos bleiben sie stehen. Argwöhnisch behalten sie die Jungs im Auge, die ihren Chor wieder anstimmen: „Hier regiert ... Hertha BSC.“