"Die Friedensbewegung ist tot"

■ Heiner Geißler, CDU-Bundestagsabgeordneter, über die Ratlosigkeit der deutschen Pazifisten, über Sieger der Geschichte und kritische Stimmen in seiner eigenen Partei zum Nato-Einsatz im Kosovo

Heiner Geißler, in den vergangenen zwei Jahrzehnten einer der wichtigsten Reformer der CDU, wurde vor allem durch zwei Aussagen berühmt. In der Nachrüstungsdebatte der 80er Jahre hielt er der Friedensbewegung vor: „Ohne den Pazifismus der dreißiger Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen.“ Und eine Lüge Helmut Kohls vor dem Flick-Untersuchungsausschuß rechtfertigte der damalige CDU-Generalsekretär mit den Worten, Kohl habe „einen Blackout gehabt“. Später war Geißler einer der schärfsten innerparteilichen Kritiker von Bundeskanzler Helmut Kohl. Heute ist der 69jährige einfacher Bundestagsabgeordneter.

taz: Herr Geißler, Sie waren immer ein Kritiker der Friedensbewegung, von der man jetzt nicht mehr viel hört. Ist Ihnen ein geliebter Gegner abhanden gekommen?

Heiner Geißler: Nein, die Friedensbewegung war nie eine gegnerische Organisation, die ich bekämpfen wollte. Ich habe nur ihren Alleinvertretungsanspruch für den Frieden bestritten. Ich war immer der Ansicht, daß die Nato für den Frieden viel mehr bewirkt als die Demonstranten damals.

Betroffenheit im Angesicht von militärischer Konfrontation galt früher als Vorrecht der Friedensbewegung. Heute sind zaghafte Stimmen auch in Ihrer Partei zu finden. Der CDU-Bundestagsabgeordneter Willy Wimmer fordert einen sofortigen Stopp der Nato- Luftangriffe.

Da hat mein Freund Wimmer einen Blackout gehabt.

Er ist immerhin Vizepräsident der Versammlung der OSZE.

Er ist da einfach monomanisch.

Peter Gauweiler warnte in der Welt am Sonntag vor einem „Vietnam in Europa“.

Ich kann nicht auch noch jedem modischen Nationalkonservativen meine Aufmerksamkeit schenken. Der Gauweiler schreibt alle acht Tage etwas anderes.

Volker Rühe hat gefordert, die deutschen Kontingente aus Makedonien zurückzuziehen, weil es dafür kein Bundestagsmandat gebe.

Das hat er inzwischen präzisiert.

Vor einem halben Jahr war Rühe Bundesverteidigungsminister, und Sie sagen einfach, das hat er nicht so gemeint?

Ich habe das nicht abqualifiziert. Volker Rühe drängt auf Präzision bei der Auslegung des Bundestagsbeschlusses und ist in der Grundsatzfrage einer Meinung mit der Union.

Auch der sicherheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Paul Breuer, hatte sich ausdrücklich hinter Rühes Forderung gestellt.

Davon weiß ich nichts.

Über Herrn Wimmer sagen Sie, er habe einen Blackout gehabt, Herrn Gauweiler nennen Sie einen modischen Nationalkonservativen, und bei Herrn Rühe sagen Sie, das hat er nicht so gemeint?

Letzteres ist falsch.

Es klingt jedenfalls, als attackieren Sie mit derselben Polemik, die Sie früher gegen die Friedensbewegung gerichtet haben, jetzt die Friedensabweichler im eigenen Lager.

Volker Rühe ist kein Abweichler. Ich muß meinen Standpunkt nicht verändern. Der Grundirrtum der fundamentalistischen Friedensbewegung, die ja auch Egon Bahr vertreten hat, ist eine falsche Rangordnung der Werte. Sie hat immer die Behauptung aufgestellt, der Frieden sei der oberste Grundwert. Das ist heute falsch und war damals falsch. Friede gibt es nur dann, wenn die Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklicht sind. Gott sei dank gibt es auch Lernfähigkeit. Die Friedensbewegung hat sich überlebt.

Die Deutschen sind schlauer geworden?

Man muß ja auch sehen, die SPD hat sich völlig verändert. Vor sechs Jahren noch hat sie vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil deutsche Soldaten auf Awacs- Flugzeugen über der Adria herumgeflogen sind. Wenn man das im nachhinein betrachtet, kann man den weiten Weg sehen, den SPD und Grüne gegangen sind.

Sie fühlen sich als Sieger der Geschichte?

Die richtigen Grundsätze und Argumente haben sich durchgesetzt. Das spricht nicht gegen SPD und Grüne. In dieser Frage haben wir die richtige Rangordnung der Werte gehabt: Die Freiheits- und Gerechtigkeitsfrage war entscheidend.

Gibt es denn in der Kosovo- Krise überhaupt noch Punkte, in denen Sie nicht hinter Rot-Grün stehen?

Nein. Ich würde mir das auch nicht wünschen.

Rot, Grün und Schwarz sind sich einig?

Die Liberalen müssen Sie auch noch dazunehmen.

Rot und Grün, Schwarz und Gelb haben ein und dieselbe Position?

So können Sie das formulieren. Ich würde sagen, die Bundesregierung und die überwiegende Mehrheit des Deutschen Bundestages. Das hat nichts mehr mit Parteipolitik zu tun.

In dieser Stunde gibt's nur Deutsche?

Nein, sondern Leute, die für die Menschenrechte eintreten. Interview: Patrik Schwarz