Albert Hefele: Herr Hefele kriegt zwei Minuten
■ Warum ich mich nicht mehr mit der Nationalelf abgeben kann - trotz Lothar
Irgenwer ließ die Nachricht im Vorbeigehen fallen: 3:0 gegen die Nordiren. Ich mußte ehrlich ein Weilchen grübeln, bis mir klar wurde, um was es ging. „Ach ja – das Länderspiel...“
Was soll man dazu noch absondern? „Darauf brauchen wir uns nichts einzubilden“, sprach sogar Cap'tain Biermann – äh Bierhoff. Ich kann mir die Namen nur mit Mühe merken. Das ist keineswegs Koketterie; auch keine beginnende Denkschwäche, es ist das pure Desinteresse.
Das Wirken der momentanen Nationalmannschaft rauscht völlig wirkungslos an mir vorbei. Ob die sich für irgendwas qualifizieren oder nicht, ist mir wurscht. Und so wie mir geht es eigentlich allen, die sich sonst durchaus für Fußball begeistern können. Echten Fans. Ich bin ein echter Fan. Beispielsweise war ich noch 1990 aktiv vor Ort in Italien, um unsere deutschen Männer anzufeuern. Und obwohl ich (trotzdem ich ein echter Fan bin) kein Freund großartig zur Schau gestellten Fantums bin, erstand ich – unter Wahrung eines zumindest phonetischen Internationalismus – seinerzeit sogar ein Mützchen mit der Aufschrift „Germania“.
So einer war ich.
Für die aktuelle Landesauswahl kann ich mich nicht einmal aufraffen, den TV-Kasten einzuschalten. Und: Es liegt nicht nur an der mageren Spielkultur. Es gab immer schon deutsche Mannschaften, die unter fehlendem Einfallsreichtum litten. Die aktuelle Mannschaft – ich werde sie „Die Momentanen“ nennen, hat noch etwas anderes. Das heißt, sie hat etwas anderes nicht.
Diese Mannschaft hat keinen einzigen – ich wiederhole: keinen einzigen Spieler in ihren Reihen, der eine wie auch immer geartete emotionale Reaktion bei mir auslösen würde. Der irgend etwas auf dem Rasen treiben könnte, das mich begeistert oder in Rage versetzt. Wachse er über sich hinaus, oder versage er, erfülle er meine Erwartungen, oder enttäusche er mich... nix.
Einen wie den kleinen Bixente Lizarazu, dessen leidenschaftliche und unauffällige Professionalität mich immer wieder zu einsamen Begeisterungsstürmen hinreißt. Markus Babbel dagegen? Ein zähnefletschender Langeweiler, mit Verlaub. Sogar der alberne Mario Basler hat das Zeug, mich wenigstens zu nerven. Wenn er wieder einen seiner verzweifelten Versuche startet, es zur „Kultfigur“ zu bringen.
Im Mittelfeld der „Momentanen“ spielt Marco Bode. Der ist ein netter Kerl und ein guter Fußballer und brave Stütze einer jeden Mannschaft. Nur – seine Unterhaltungs- und Langzeitwerte gehen gegen null: eben noch gesehen, sofort wieder vergessen. Diese Mannschaft besteht aus harmlosen Bürschchen, mögen sie noch so trotzig in die Kameras schmollen. Zu rund, zu glatt, zu makellos gescheitelt. Keine echten Skandale, keine Brüche in der Biographie, keine Dramatik, keine Drogen, kein wütendes Aufbäumen gegen dies und jenes.
Wollen wir das? Klar, wollen wir das! Fußball ist Theater, mit allem Drum und Dran. Wir wollen Teufel und Heilige, Huren und Jungfrauen! Die „Momentanen“ sind allenfalls Traumschiffpersonal. Braungebrannt unter falschen Palmen. Mit wem soll unsereiner da mitleiden? Wen soll unsereiner da aus tiefster Seele hassen...?
Lothar! Wie bitte? – Stimmt – Lothar ist auch noch da. Lotte, das alte Schlachtroß. Das ist zumindest einer, den man einstens mit Inbrunst verachten konnte, weil er immer und überall für eine saudumme und extrem überflüssige Stellungnahme gut war. Verachten kann ich ihn heutzutage nicht mehr, höchstens milde schmunzeln, wenn er mal wieder so ist, wie er eben ist. Und die letzten Meter auf dem Weg zum Ende der Karriere unter die Stollen nimmt. Was bleibt ihm denn? Bald kann er lange und ausgiebig im Tegernseer Landhaus sitzen und seine unzähligen „Sakki“ (Peter Unfried) zählen.
Als Haßfigur hat Lotte jedenfalls ausgedient. Immerhin rührt er uns in seinem Bemühen, noch mittun zu dürfen. Und man möchte ihn hin und wieder knuddeln und in die roten Altmännerbäckchen kneifen, wenn er wieder mal einen langen Sprint hinter sich hat und nach Anerkennung heischend um sich äugt.
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