Allzeit endzeitbereit

Die Grünen haben die Apokalypsenangst der 80er in eine persönliche Apokalypsensehnsucht am Ende der 90er transformiert. Statt Probleme zu bewältigen, drohen sie damit, sich selbst abzuschaffen  ■ Von Volker Weidermann

Was machen wir denn jetzt?“ fragte Zille. „Wie wär's mit sterben?“ antwortet Käpt'n Blaubär am Ende von Walter Moers' jüngst erschienenen Abenteuerbuch „Die 131/2 Leben des Käpt'n Blaubär“. Der kleine freundliche Schiffsleiter, der sich hier so ergeben in sein Schicksal fügt, hatte am Anfang seines Lebens ein traumatisches Erlebnis: Kaum auf der Welt, fand er sich einsam und verlassen in einer winzigen Nußschale inmitten der Weltmeere und trieb unaufhörlich in Richtung „Malmstrom“, dem schrecklichsten Strudel der Welt, von dem man sagt, er sauge so lange Wasser ins Innere der Erde, bis sie platzt. Nur Sekunden, bevor ihn dieser Welteinsauger verschluckt, wird er von einem wagemutigen Trupp Zwergpiraten gerettet. Später wird er noch allerlei andere große und kleine Weltuntergänge erleben und erdenken. Und Käpt'n Blaubär entkommt immer. Doch was treibt einen solch erprobten Weltuntergangsüberleber, am Ende freiwillig den eigenen Tod vorzuschlagen? Ist das nur Lebensmüdigkeit, oder will sich da einer mit der Benennung der allerletzten Lebenskonsequenz noch einmal für neue Taten motivieren?

Wir wollen es uns so erklären: Durch das frühe traumatische Malmstrom-Erlebnis hat der kleine Kapitän eine Affinität zu Untergängen, nicht nur der ganzen Welt, sondern irgendwie auch zu seinem eigenen. Das wird ihn doch nicht töten?

Als die Grünen sich im Januar 1980 als Partei gründeten, war die Angst vor dem drohenden Weltenende die Hauptmotivation für ihren Zusammenschluß. Berichte wie der des Club of Rome über „Die Grenzen des Wachstums“ und Herbert Gruhls „Der Planet wird geplündert“ hatten vor allem in Deutschland und vor allem bei der deutschen Linken eine Endzeitangst ausgelöst, die auf Dauer zu einer politischen Kraft gebündelt werden mußte. Saurer Regen, Umweltverschmutzung, Waldrodungen und die Gefahren der Atomenergie führten zu einer kollektiven Angst vor „der großen Maschine, die uns langsam an die Wand drückt“, wie es das Gründungsmitglied der Grünen, Rudolf Bahro, beschrieb.

Zusätzlich zur ökologischen Katastrophe, deren Ausbruch jeden Moment drohte, wurde über den Köpfen der Europäer das Damoklesschwert eines Atomkriegs geschwungen. Der Nato-Doppelbeschluß vereinigte eine ungekannte Zahl von Widerständlern, die gegen den „Rüstungswahnsinn“ sangen, demonstrierten und Plakate malten. Günter Anders traf den Nerv dieser tiefen Beunruhigung, als er schrieb: „Zum ersten Mal wissen wir von der Welt, in der wir leben, nicht, ob sie weiterbestehen wird. Früher hat jeder Tod innerhalb der Welt stattgefunden und jede Epoche innerhalb der weitergehenden Geschichte. Diese Art von Tod ist nun tot. Denn nunmehr haben wir den Tod der Welt selbst oder der Geschichte selbst ins Auge zu fassen.“

Die Achtziger, das war die Pflanzzeit der letzten Apfelbäumchen, und die Grünen waren ihre fleißigsten Gärtner. Und während das Atomzeitalter für SPD („Es wird den Menschen von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen“) und SED („So, wie das Zeitalter der Dampfkraft dem Kapitalismus gehörte, so gehört das Atomzeitalter dem Sozialismus“) als Wunderwaffe galt, war es für die Grünen das Synonym für den drohenden Untergang.

Doch die junge Partei schöpfte aus dieser totalen Bedrohung auch ihre politische Kraft. Das Bewußtsein, daß es immer buchstäblich ums Ganze ging, war ihre große politische Motivationshilfe. Wer im Angesicht der Apokalypse zu Hause blieb, statt mitzudemonstrieren und sich in der Friedenspartei zu engagieren, mußte schon eine gute Ausrede haben. Die Massenmobilisierung funktionierte fast von allein. Und dazu kam das Gemeinschaftsglück, das gute Gefühl, zu einer Zeit, in der die Erde wieder einmal „im Zeichen triumphalen Unheils“ (Horkheimer/Adorno) strahlte, nicht allein zu sein. Wenn man heute Aufnahmen der damaligen Zeit, etwa von den großen Friedenssängern der Gruppe BAP, hört, wenn sie zusammen mit 300.000 glückstrunkenen Kehlen bei einer Abrüstungsdemo auf der Bonner Rheinaue „...mer weeden immer mieh, hoffentlich immer mieh...“ singen, weiß man, daß der drohende Atomtod auch etwas harmonisch Mitreißendes hatte.

Etwas Mitreißendes, das sich erstens aus einer von keinem Zweifel angekränkelten moralischen Selbstgewißheit speiste, die immer genau zu wissen glaubte, wer Freund und wer Feind war, und zweitens aus dem ängstlichen Gefühl einer direkten persönlichen Betroffenheit jedes einzelnen Demonstrationsteilnehmers heraus. Es war auch bequem damals. Natürlich war die totale Bedrohung real, natürlich waren die Ängste echt und berechtigt.

Wie aber verhält es sich im Übergang von einer Politik der beschworenen Symbole zum dominierenden Realitätsprinzip der Grünen von 1999? Der aktuelle Konflikt im Kosovo, der die Friedensbewegung weitgehend schweigen und überzeugte Pazifistinnen wie Angelika Beer im Parlament ihre Hilflosigkeit eingestehen läßt, macht deutlich, daß es sich in den Gewißheiten der achtziger Jahre auch allzu bequem einrichten ließ.

Die neunziger Jahre sind kein apokalyptisches Jahrzehnt geworden. Das ist nicht gut für die Welt und schlecht für die Grünen. Nicht nur das Ende der bipolaren Weltordnung, die jeden Konflikt zu einem Weltkrieg auszuweiten drohte, hat seinen Teil dazu beigetragen. Auch die Umweltgefahren scheinen nicht mehr weltbedrohend. Es hat der Umweltschutzbewegung insgesamt nicht gutgetan, daß sich ihre Untergangsbehauptungen, die sie so inflationär einsetzte, nicht erfüllten. Das Waldsterben fand nicht statt, im Rhein laicht wieder der Lachs, und auch die finale Klimakatastrophe läßt auf sich warten.

Nun treibt die Ökopartei keine Untergangsdrohung mehr an, die Apokalyptischen Reiter galoppierten vorbei. Da spielen sich die Grünen in schöner Regelmäßigkeit selbst ihr Lied vom Tod. Krisen der eigenen Partei werden feierlich zelebriert – man suhlt sich in Untergangsphantasien. Kurzerhand erklärt der ehemalige Parteisprecher und jetzige Bundesumweltminister nach kaum vier Monaten Regierungszeit sein Lebensprojekt für tot, während Fraktionssprecher Schlauch von Abgründen schwadroniert, auf die die Partei mit immer größerer Geschwindigkeit zurase. Von „schleichenden Zerfallsprozessen“ wird geredet, von „größter Krise“ und kaum noch möglichem „politischen Überleben“. Nur wegen einer Landtagswahl, bei der man einige wenige Prozentpunkt verloren hat, kurz nach einer triumphal gewonnenen Bundestagswahl.

Während andere Parteien, allen voran die Überlebenskünstler von der FDP, immer wieder Meisterschaften im Abwiegeln, Kleinreden und Totschweigen der eigenen Existenzkrise gewinnen konnten und damit noch immer ihr politisches Überleben sicherten, schmücken die Grünen die eigenen Krisen in den schönsten Farben aus: „Diesmal ist es unser Ende. Diesmal ganz bestimmt.“ Und wozu das alles? Zur Eigenmotivation? Um Mitleidswählerstimmen zu erringen? Um altgediente Parteimitglieder kollektiv an den eigenen Gründungsmythos zu erinnern, der noch heute rückblickend hell im Zeichen des Untergangs erstrahlt?

Wählerstimmen bringt das auf Dauer nicht. Im Gegenteil. Eine Partei, die schon im Falle mittelgroßer interner Probleme den eigenen Tod prophezeit, wird man mit der Zeit wirklich für tot halten. Zumindest nimmt man sie auf Dauer nicht mehr ernst.

Man kann wohl nicht umhin, hier eine Verwandtschaft dieser Zeitung mit jener abgründigen Partei einzugestehen. Auch der taz ist jene Untergangsverzauberung nicht so fremd, auch die taz phantasiert sich immer mal wieder in „völlig ernstgemeinte Selbstabschaffungspläne“ (Thomas Mann) hinein, auch die taz ist eine krisenfreudige Vereinigung und wohl die einzige Zeitung, bei der, wie auf der letzten schönen Krisensitzung geschehen, der eigene Geschäftsführer die Idee ins Spiel bringt, ob man sich nicht ganz einfach auflösen solle. Man habe doch irgendwie seine Zeit gehabt.

„Was machen wir denn jetzt?“ fragen die Grünen. „Wie wär's mit weiterleben?“ sagen wir. Und zwar ohne beharrliche, strategisch oder neurotisch begründete Selbstabschaffungsankündigungen. Sondern mit Eigenmotivation, besserer Arbeit und etwas mehr Standfestigkeit. Die Probleme sind zwar vielleicht nicht apokalyptisch, aber immer noch groß genug.